Geschichten zum Thema Alltag

Waiting For The Miracle

Beitragvon Sjel » Di 27 Jan, 2009 23:34


Sodann... Ich hoffe auf konstruktive Kritik.

[size=85:18mq7qmp](...Nothing left to do, when you've got to go on waiting, waiting for the miracle to come...) Leonard Cohen „Waiting for the miracle“[/size]


Kann ich ihn etwa mit meinen Tränen erstechen wie mit einem Messer?

Sie strich sich über die Wangen. Schneeflocken flogen vom Himmel, wie nasse göttliche Schuppen und am Highway fuhren Autos entlang. Jedes von ihnen schoss mit Tonnen von Metall an ihr vorbei wie ein monströses Spermium, stur zum Ziel und voller Leben. Aus ihrem Mund stieg Wasserdampf zum Himmel und wirbelte mit den Flocken im Licht der Scheinwerfer. In Universen aus Schnee, Lichtstrahlen und Schatten irrte sie und ihre Beine, betäubt von Kälte zitterten im Wind wie zwei Birkenzweige.

Sie ging allein.

Ihre Wangen schmerzten noch und Feuerringe umklammerten ihre Handgelenke dort, wo ihr Vater sie fest gehalten hatte. Ja, er konnte ihr jetzt nichts mehr tun. Doch trotzdem wühlte sich etwas durch ihre Innereien wie tausend hungriger Maden, ihre Knie klappten beinahe zusammen und kohlschwarze Verzweiflung drückte auf ihren Nacken. Und wohin lief sie jetzt? Er war zu Hause und er schlief nicht, er hockte im Wohnzimmer und verbrachte seine Zeit, wie so oft, mit seinem besten Freunden Jack und Jim. Sie wickelte den Schal fester um den Hals.


Kann ich in der Zeit reisen und dieser feigen Schwuchtel in die Eier treten? Nein, du Wichser, ich bin zu alt!

Er goss mehr Whiskey in das Glas. Wie ein weggeworfener Maiskolben im Mülleimer lag er auf seiner Couch, schon seit dem Morgen. Dieser war mit dreckigen Bettlacken gekommen, mit einem Wurstbrot und natürlich mit einem Bier. Wie sollte es auch sonst sein? Tag für Tag eine kleine Bier- Wiedergeburt am Morgen und ein kleiner Whiskey- Tod am Abend. Manchmal starb er auch an Wodka.

Der Chef fuhr ein neues Auto, einen Jaguar, und er aß Wurstbrote und klebte an der Couch fest.Er war zu alt für diesen Job, zu veraltet, zu unfähig. Ja es stimmte. Von wegen! Er war noch keine fünfzig. Dieser Hurensohn fuhr einen neuen Jaguar und seine Frau badete bestimmt in Chanel. Zwölf Jahre lang schleppte er Kisten und schnitt die Bäumchen im Garten des Chefs. Jetzt machte einer, der halb so alt war wie er, seine Arbeit. Für halb so viel Geld. Irgendwo musste dieser verschissene Wichser ja sparen. Wenn nicht am Auto. Er trank einen großen Schluck Whiskey.


Kann ich sie einmal so ficken wie früher?

Er drehte den verchromten Wasserhahn zu und stieg aus der Dusche. Sein Spiegelbild kam ihm entgegen, er sah es in Lebensgröße im marmorgetäfeltem Badezimmer. Schlank war er immer noch, schwarze Locken fielen auf seine Stirn, seine Haut war von Bahamas-Sonne braun bestrichen und schließlich wusste er ganz genau: es kommt doch nicht auf die Größe an.

Was wollte sie? Er verdiente immer mehr Geld, er sicherte sie, er verwöhnte sie und schließlich liebte er sie - irgendwie. Jetzt rätselte er warum, sie sich aufführte als sei sie ein wildes Tier, wobei sie ein Schoßhund war. Sein Schoßhund. Nichts anderes hatte sie je gekonnt sie als zu lächeln, zu duften und ihren Körper zu zeigen in der Hoffnung, Männer in ihrem Schoß zu fangen. Ihn hatte sie auch gefangen und jetzt nahm sie ihn aus, nahm ihm zuerst das Geld und machte es zu Kleidern und Steinchen und wollte nun die Scheidung und das Haus. Manchmal wusste sie: sie war seine Mätresse. Doch plötzlich hatte sie es vergessen, wie gut es ihr dabei ging. Und sie fuhr mit dem Jaguar davon! Er schnappte sich das Handtuch und begann, sich hastig abzutrocknen.


Kann ich auch sein Geld rauchen?

Sie und zog an der Zigarette. Sie fuhr am dunklen Highway entlang, weit weg von ihm. Er sah sie nur als ein Paar Schenkel, ja schon seit Jahren, doch nun kam die Zeit, ihm zu beweisen, dass sie mehr war: Schauspielerin, Model, eine Schönheit. Sie hätte bestimmt eine glitzernde Karriere gemacht, wenn sie ihn nicht getroffen hätte. Manchmal dachte sie sich Reden aus, für die Oskarverleihung, für irgendeine Verleihung. Bald würde es kein Traum mehr sein... In sieben Jahren vielleicht!

Niemand wusste mehr um ihr Talent. Dank ihm. Er schätzte sie nicht im richtigen Maß und nun kam die Zeit, sich zu rächen. Er fühlte sich so wichtig mit seinem Lederköfferchen, mit Armani und seinen japanischen Partnern, er lachte sie aus wenn sie beim Abendessen ihre Gedanken äußerte. Und in einer der vielen allein verbrachten Nächte hätte sie fast gedacht, er würde lieber seine Partner ficken als sie. Also fuhr sie, fuhr weg mit seinem neuen Auto. Daddys ganzem Stolz. Dieser Bastard würde sie noch kennen lernen.


Kann ich nur auf ein Wunder warten?

Sie sah die Wolkenfetzen über ihr toben. Und der gesamte Himmel drückte auf sie mit dem Gewicht von einem weißen Meer.

Sie erfror.

Sie würde seine Gestalt im hellen Fenster sehen, würde sehen, wie er eine Stehlampe umwirft und wie er die Zeitungen vom Tisch fegt und dann würde sie wieder gehen und auf ein Wunder warten. Nichts erwartete sie, nichts konnte sie tun und nichts würde sich ändern.

Sie erhob also ihr Gesicht zum Himmel und beschwor das Wunder. Sie beschwor das Wunder und keine Xenonscheinwerfer blendeten sie, kein Motor grölte und keine Reifen quietschten hinter ihr. Ihre Knochen brachen nicht, als sie es beschwor und ihr Kopf krachte nicht auf den Lack des dunklen Jaguars.

Das Wunder war gekommen, so wie sie es erhofft hatte.

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Re: Waiting For The Miracle

Beitragvon Antibegone » Fr 06 Feb, 2009 13:36


Huhu Sjel :-)


Zunächst einmal hat mir deine Geschichte schon beim ersten Lesen gefallen. Sie ist in sich geschlossen und rund und der Inhalt hat mich auch sofort angesprochen. Beim intensiveren Lesen sind mir allerdings ein paar Kleinigkeiten aufgefallen.

Hmm, erst einmal zum Inhalt. Es geht um Wunder. Aber es geschieht auf eine unerwartete, fast paradoxe Art und Weise. Die meisten Menschen, erhoffen sich vom Wunder, dass etwas passiert. Nicht, dass etwas nicht passiert. Das ist eine menschliche Eigenschaft, denke ich: Keiner von uns dankt dem Passanten, der ihn nicht absticht.
Ja, das Thema gefällt mir auf jeden Fall. Gerade in Verbindung mit den vier „Erzählsequenzen“. Der Jaguar zieht sich durch alle hindurch wie eine Art „Schlüssel“. Der Mann wurde gefeuert, weil sein Chef sich ihn gekauft hat. Die Frau dessen klaut diesen. Und die Tochter des arbeitslosen Mannes taucht auf dem Highway auf, auf dem es auch der Jaguar tut.
Es ist interessant, wie dieser „Schlüssel“ sich durchzieht aber eben nicht zum Einsatz kommt. Die Geschichte wäre ja „abgeschlossen“, wenn das Mädchen von dem Jaguar angefahren werden würde. Dieses Spiel mit den Erwartungen des Lesers ist dir wirklich gut gelungen. Besonders, weil sich hier Inhalt und Form ergänzen. Das formale nicht zum Einsatzkommen des „Schlüssels“ zeigt dieses „Unterlassungsmotiv“ des Inhalts auf.

Die vier Erzählsequenzen verbindest du mit einleitenden Fragen, die die Wünsche/ Sehnsüchte der jeweiligen Person ausdrücken. Das ist für den Leser insofern nett, als dass die Gliederung des Textes leichter fällt. Beim ersten Lesen habe ich darauf gar nicht so geachtet und mich gefragt, wer jetzt wer ist. Ist mir erst später aufgefallen, wie du hier gliederst. Ich frage mich trotzdem, ob du das brauchst. Ich finde die Fragen inhaltlich überflüssig; der Leser kann sich gut denken, was die Personen sich wünschen.
Außerdem … hmm, brauchst du diese klare Gliederung überhaupt? Du tust dies ja zusätzlich durch die doppelten Absätze nach jedem Erzählabschnitt. Aber lebt so eine Geschichte nicht auch ein wenig von der „Unklarheit“, von dem „Verwischen“ der Personen und ihrem Handeln? Du brichst durch diese eindeutige Einteilung dieses „Ineinanderübergehen“.
Ist nur eine Überlegung und soll keine (negative) Kritik sein. Denn gerade solche Punkte sind absolute Geschmackssache.

Zur Sprache: An einigen Stellen haben mir deine Formulierungen wirklich gut gefallen.
Zum Beispiel diese: „Schneeflocken flogen vom Himmel, wie nasse göttliche Schuppen […]“ Trotzdem wirkt gerade die Beschreibung am Anfang wie eine Aufzählung, in der du inhaltlich nicht sinnvoll verbundenen Dinge hintereinander aufreihst.

Sie strich sich über die Wangen. Schneeflocken flogen vom Himmel, wie nasse göttliche Schuppen und am Highway fuhren Autos entlang. Jedes von ihnen schoss mit Tonnen von Metall an ihr vorbei wie ein monströses Spermium, stur zum Ziel und voller Leben. Aus ihrem Mund stieg Wasserdampf zum Himmel und wirbelte mit den Flocken im Licht der Scheinwerfer. In Universen (es gibt nur ein Universum, wenn du hier einen Plural verwenden willst, dann benutze doch so etwas wie: Sphären oder Dimensionen, aber Universen klingt „schräg“) aus Schnee, Lichtstrahlen und Schatten irrte sie und ihre Beine, betäubt von Kälte zitterten im Wind wie(sind etwas zu viele wies, oder?) zwei Birkenzweige.


Okay, die Reihenfolge der Aufzählung: Das Mädchen kommt zuerst. Dann verbindest du in einem Satz die Schneeflocken und die Autos. Um die geht es auch im nächsten Satz. Nur damit es dann mit dem Mädchen weiter geht.
Erst danach fängst du an Elemente zu verknüpfen. Warum tust du das vorher nicht?
Auf mich wirken die ersten Sätze ein wenig so, als hättest du dich im Schreiben erst einmal „aufgewärmt“.

Nach dieser ersten Sequenz erkenne ich einen viel schöneren Fluss; die Beschreibungen greifen ineinander über.
Z.B. hier:

Wie ein weggeworfener Maiskolben im Mülleimer lag er auf seiner Couch, schon seit dem Morgen. Dieser war mit dreckigen Bettlacken gekommen, mit einem Wurstbrot und natürlich mit einem Bier. Wie sollte es auch sonst sein? Tag für Tag eine kleine Bier- Wiedergeburt am Morgen und ein kleiner Whiskey- Tod am Abend. Manchmal starb er auch an Wodka.


Eine eindrucksvolle Beschreibung, deren Elemente "stimmig" zusammengestellt wurden.

Zum Schluss noch ein paar Feinheiten:


Er war keine noch keine fünfzig.


Da ist ein „keine“ zu viel.

Er sah sie nur als ein Paar Schenkel, ja schon seit Jahren, doch nun kam die Zeit, ihm zu beweisen, dass sie mahr war


Ich glaube, das wollte mal „mehr“ heißen.

Schlank war er immer noch


und

Wie ein weggeworfener Maiskolben im Mülleimer lag er auf seiner Couch, schon seit dem Morgen


Solche Inversionen verwendest du öfter und ich weiß nicht so ganz, wieso. Mich hat es beim Lesen etwas gestört.

Daddys ganzem Stolz.


Über den Satz bin ich gestolpert. Ich glaube wegen des englischen Wortes. Außerdem ist es so eine … hmm, fast sprichwörtliche Aussage. Ich finde das einfach unpassend.

Ach ja und dann zu dem Ende:

Sie erfror.

Sie würde seine Gestalt im hellen Fenster sehen, würde sehen, wie er eine Stehlampe umwirft und wie er die Zeitungen vom Tisch fegt und dann würde sie wieder gehen und auf ein Wunder warten. Nichts erwartete sie, nichts konnte sie tun und nichts würde sich ändern.


Erfrieren heißt „an Kälte sterben“. Also ist sie tot?
Wie kann sie dann im nächsten Satz wieder handeln?
Oder ist es die andere Frau? Dann hätte aber ein doppelter Absatz kommen müssen.
Ich bin verwirrt, wirklich und bitte um Aufklärung.


Zusammenfassend: Ich habe die Geschichte gerne gelesen und mich mit viel Freude näher mit ihr beschäftigt. Das „Wunder-“ und „Unterlassungsmotiv“ hat mir gut gefallen und die meisten Beschreibungen waren kreativ und phantasievoll, wenn auch am Anfang etwas „holprig“.


Liebe Grüße,
von der Traumi
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Re: Waiting For The Miracle

Beitragvon Sjel » Mi 11 Feb, 2009 18:34


Hi, Traumwächterin.
Ok, vielen Dank erstmal für deine Meinung. Im Moment ist die Zeit etwas knap, doch ich werde mich auf jeden Fall noch so ausführlich mit deiner Kritik auseinandersetzen, wie du dich mit meiner Geschichte.
LG, Sjel.
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Re: Waiting For The Miracle

Beitragvon Sjel » Fr 27 Feb, 2009 00:19


Guten Abend, da bin ich wieder.

Also, die Tippfehler und die Wiederholungen hab ich bearbeitet.

Vielen Dank für den Hinweis mit den "wie", ich werde sie in Zukunft begrenzen und Metaphern daraus machen.

Auch danke für den Hinweis mit dem Warmschreiben am Anfang. Ich schätze, ich wollte die allgemeine Atmosphäre erstmal kurz wiedergeben. Weiß ich nicht mehr wirklich, weil die Geschichte über 3 Jahre alt ist. (Und ja, das ist keine Entschuldigung, ich weiß :) )

Zu den Anglizismen: "Highway", "Daddy" das Leonard Cohen Zitat am Anfang sollten auf die USA als Schauplatz verweisen. Aber ich gebe zu, nur englische Wörter zu benutzen ist dabei etwas ungeschickt, in der Tat.

Zu der Handlung: Es ist wirklich interessant, wie du die Handlung interpretierst. Ich wollte das Ende bewusst offen lassen und mich unklar ausdrücken. Aber das "sie erfror" ist kein abgeschlossener Prozess, nicht "sie war erfroren" also ist sie nicht tot zu diesem Zeitpunkt der Geschichte, soviel möchte ich zu dem Inhalt sagen.

Ich hoffe, meine Antwort kam jetzt nicht zu spät. LG, Sjel.
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Re: Waiting For The Miracle

Beitragvon Antibegone » Sa 28 Feb, 2009 17:30


Huhu Sjel :-)


Nein, ist ja nicht schlimm, wenn du etwas später antwortest. Bei mir gibt es kein zu spät (zumindest meistens nicht …)

Aber das "sie erfror" ist kein abgeschlossener Prozess, nicht "sie war erfroren" also ist sie nicht tot zu diesem Zeitpunkt der Geschichte, soviel möchte ich zu dem Inhalt sagen.


Jaa, so etwas Ähnliches habe ich mir schon gedacht – wäre sonst ja auch sinnfrei.
Trotzdem: Ich kann mich damit irgendwie nicht anfreunden. Vielleicht nehme ich das sprachlich auch zu genau: Aber erfrieren, heißt für mich: Vor Kälte umkommen. Punkt. Tot.

Die deutsche Sprache an sich ist da, glaube ich, „nicht sehr hilfreich“. Denn sie tut sich schwer, Aspekte einer Handlung auszudrücken, z.B. der Unterschied zwischen dem Prozess des Erfrierens und dem punktuellen Geschehen oder dem Resultat des Erfroren seins. Du versuchst einen längeren Zeitraum des Erfrierens anzudeuten, aber das geht in dieser Weise im Deutschen nicht.
Einzige „Krücke“, die mir einfallen würde, wäre: Sie war am Erfrieren.

Auch danke für den Hinweis mit dem Warmschreiben am Anfang. Ich schätze, ich wollte die allgemeine Atmosphäre erstmal kurz wiedergeben. Weiß ich nicht mehr wirklich, weil die Geschichte über 3 Jahre alt ist. (Und ja, das ist keine Entschuldigung, ich weiß )


Ja, ich kenn das. Bei etwas älteren Texten tut man sich dann auch schwer, es zu überarbeiten. Ist ja auch nicht schlimm.

Ach ja: Ich wollte noch mal betonen, dass mir die Geschichte wirklich gut gefallen hat. Auch wenn ich so viel daran rum zu meckern hab :-)
Ihr fehlt, glaube ich, einfach noch der „letzte Schliff“ – was bei längeren Geschichten durchaus seine Zeit braucht.

Viele liebe Grüße,
von der Traumi
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