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Übung „Wokeness“ Eine Erleuchtung

Beitragvon asd345 » Fr 24 Jun, 2022 10:59


Moin, habe was geschrieben. Was meint ihr? Nicht schüchtern sein! Danke.



Triggered!

Ja, ich bin „getriggert“! Jemensch hat ein böses Wort benutzt, dass man seit gestern 05.45 Uhr nicht mehr benutzen darf! Das habt haben wir woken beschlossen, sofort, unverzüglich, unter Ausschluss aller toxischen Cis-Personen und des Patriarchats! Wir sind schon so lange Opfer, da darf man wohl zum Mindesten verlangen, dass uns euch jetzt durchregieren lässt.

Ja, deine Dreadlocks passen mir nicht, weil du ein Alman, eine Kartoffel bist. Ich finde deine Frisur rassistisch. Weil die nur „betroffene“ sie tragen können. Am besten welche, die aus Liberia kommen und höchstselbst im Sklavenschiff nach Jamaika verschleppt wurden. Das wurde ich auch nicht. Ich bin qua der woken Bildung, die ich erhalten habe die Stimme der Entrechteten.

Überhaupt bin ich so hypersensibel, dass ich jetzt erst mal eine Runde freebleeden muss, um meine Chakren wieder zu synchronisieren. Um die gemainsplainte Siegergeschichte zu vergessen, die mich als Königin der Herzen vergessen hat. Mich auf meine 200 kg Body Positivity besinnen, für die gerne auch Tiere sterben dürfen, weil ich mir das wert bin. Hör mal ganz zu:

Fick dich.

Du bist nichts, als ein unwokes Stück Scheiße.

Ich bin Tina True, die Verkünderin der Wokeness. Ich bin radikal-intersektionalistin, post-postkoloniale Dekonstrukteurin, stolze Bachelorstudentin im 23 Semester, queer as fuck, betroffen von fat-shaming, ableismus (mein Ringfinger ist länger als der Mittelfinger), hegemonial-toxischer Männlichkeit, WG-Protokollantin und so kritisch weiß, dass ich fast BiPoC (Black, Indigenous, (and) People of Color.) bin.

Glaub mir, ich hasse den alten weißen Mann mindestens genauso wie du. Aber im Gegensatz zu dir weiß ich, dass man den nicht durch Argumente besiegt. Dass „canceln“ nicht niemanden weiterbringt, sondern eine Waffe gegen den alten weißen Mann und seine Nazifreunde ist. Und weil ich so viel Caringarbeit wie möglich übernehmen will, bekommst du hier jetzt eine Gratistherapie, so radikal, dass du danach ein für alle Mal austherapiert bist. Und dich nicht mehr fragen musst, wieso die Welt trotz all deiner toxischen Unwokeness nicht besser wird.

Benimmregeln:

Hey, schön das du da bist. Wirklich. Freut mich echt. Ich nehme an, du bist eine schwarze muslimische Lesbe, oder anderweitig mehrfach, oder wie wir woken es nennen „intersektional“ betroffen. Oder du bist ein schwarzer Mann. Man* sagt zwar, dass sind die weißen der schwarzen, aber auch du bist willkommen, die Hälfte von dir nicht nur zu reflektieren, sondern auch abzuschaffen. Für alle weißen Männer die das hier lesen: fickt euch. Aus ganzem Herzen. Mit dem Tischbein. Ihr sollt nur unter einer Bedingung weiter lesen: dass ihr euch mit all eurer Persönlichkeit, eurem Wesen, eurer Seele hasst. Dass ihr bereit seid, euch abzuschaffen, Buße zu tun, und ein neuer Menschen zu werden: jemensch.

Das hier ist ein Safe Space. Das heißt, es wird woke kommuniziert. Ein paar Grundregeln:

1. Betroffene haben Recht. Egal was, egal wie, egal wo. Schon die Frage nach Gründen ist Täterschaft, ist Retraumatisierung, ist Vergewaltigung.

2. Gründe, oder „Fakten“, wie die Unwoken sie nennen, sind faschistisch. Alles ist Diskurs. Alles ist fluide. Es gibt keine absolute Wahrheit. Das einzige, was zählt, ist deine subjektive Perspektive.

3. Jeder ist betroffen. Vom Patriarchat (auch Männer!), von Kolonisation (auch weiße!), von Unterdrückung. Das abzustreiten ist hegemonial, heißt den Herrschenden nach dem Mund reden.

4. Die Herrschenden sind alte weiße Männer. Woke ist alles, was die nicht sind.

5. Worte bedeuten nichts, Diskurse alles. Niemand hat die gleichen Vorstellungen von einem Tisch, einem Auto, eine Beere. Woke ist, anzuerkennen, dass alles sich ständig verändert, nicht fassbar ist, und der Versuch, etwas zu fassen eine Einengung ist, eine Isolationshaft der Gedanken. Wokeness ist, in gewisser Form, Poesie.

6. Es gibt kein biologisches Geschlecht, es gibt nur Gender. Auch das ist fluide. Jeder, er nicht queer ist, weiß es nur noch nicht. Cis, das Gegenteil von Trans, ist die Vergangenheit. Wir sind die Zukunft.

7. Du musst mit niemandem argumentieren. Toxische Menschen, die transphob, PoC-phob, queerphob oder ähnliches sind, dürfen gecancelt werden. Wer -phob ist, entscheidest du.

8. Widersprüche gehören zu Wokeness dazu. Halte sie aus. Die Welt ist nur für Faschisten einfach.

Jetzt bist du vorbereitet. Mache dich bereit für das warme Leuchten der Wokeness.

1. Einleitung: „Triggered!“

„Warnung! In diesem Kapitel explizite Inhalte beschreiben, insbesondere Darstellungen von Gewalt, Rassismus, Vergewaltigung und Inzest!“ Das ist eine echte Triggerwarnung. Denn all das wird im Kapitel vorkommen. Früher, zum Beispiel 1970, hätte frau das dem Leser einfach so ins Gesicht geknallt – und dafür einen Literaturnobelpreis bekommen. Dies ist ein Plädoyer für die posthume Abschaffung einer Literaturnobelpreisnominierung!

Heute macht man das nicht mehr, denn man ist „woke“! Woke sein bedeutet „erwacht“ zu sein. Klingt nicht nur im Denglischen, sondern auch im Deutschen falsch? Das zu sagen, auch nur zu denken, ist rassistisch! Denn der Begriff kommt aus der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen, sorry, PoCs. Rassisten würden sagen, People of Colour ist hier zwar falsch, da es dezidiert US-Amerikaner mit afrikanischer Herkunft waren, die in den 1930ern den Begriff prägten. Es waren keine Syrer, Malaien oder Peruaner. Aber wer woke ist, muss sich entscheiden: exakt oder nicht-rassistisch. Und wir haben lange genug in der Diktatur der Exaktheit gelebt!

Überhaupt ist jede genaue Beschreibung Zeichen des Unterdrückersystems, aber dazu später mehr. Bis dahin nennt einfach alles, was euch nicht passt „heteronormativ“. Der große Unterdrücker ist kein Faschist, keine jüdische Weltverschwörung, sondern es ist der Diskurs!

Vor Teilen von dem muss man geschützt werden. Sorry, nicht man, auch nicht frau, auch nicht mann, auch nicht man/frau+, sondern „jemensch“. Wir wollen ja niemanden diskriminieren! Woke sein bedeutet vor allem, dass wir verdammtaufpassen müssen, was wir sagen. Sorry, „verdammt“ sollte jetzt keine Christen diskrinimieren. Woke sein bedeutet auch, sie mit Tabus anzufreunden. Wann hätten die uns schon einmal geschadet?

Noch mal: „Woke“ sein bedeutet, vor Diskriminierung zu schützen. Alles und jeden. Durch Trigger-Warnungen zum Beispiel. „Trigger“ kommt aus der Traumatherapie, wo der Begriff „bestimmte Reize, die unwillkürlich die Erinnerung an ein zurückliegendes Trauma auslösen und dadurch Flashbacks hervorrufen können“ bedeutet. Seit Beginn der 2000er-Jahre verbreitete sich der Begriff wie eine bolschewistische Kampftruppe. Der Psychologe Thomas Weber, Geschäftsführer des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagment in Köln, sagt: „Wenn solche Hinweise ernsthaft verwendet werden, können sie Betroffene durchaus schützen.“ Herr Weber ist absolut unbefangen. Wieso hört die Welt dann nicht auf ihn? Wieso haben wir noch Bücher ohne Triggerwarnung???!?

Lobend müssen die Münchner Kammerspiele erwähnt werden, die 2021 eine Triggerwarnung einsetzten. Die Autorin Jasmina Kuhnke versah ihren Roman Schwarzes Herz 2021 vorbildlich mit einer Triggerwarnung im Paratext: „Dieser Roman enthält [Schweinkram]. Bitte achten Sie beim Lesen auf sich [...] Die Nachauflage von Stephanie Schusters Bestseller „Die Wunderfrauen“ übererfüllt das Plansoll fast. Sie enthält nicht nur erstmals eine „Inhaltswarnung“, sondern wurde stillschweigend von „bösen“ Wörtern bereinigt. Das ist besonders gut, weil ein Hinweis darauf nur den Faschisten wieder ein Werkzeug an die Hand gegeben hätte uns zu retraumatisieren! Moralische Korrekturen nennen die Rechten gerne „cancel culture“. Ich würde sagen, es ist eine Selbstzensur, eine neue Anständigkeit. Ulrike von Stenglin, Programmleiterin bei Hanserblau, ist eine sehr anständige Person. Sie bekannte in einer Diskussionsrunde, in den von ihr verantworteten Werken auf „verletzende Sprache weitgehend verzichten“ und einen Klassiker wie Mark Twains „Huckleberry Finn“ lieber nicht publizieren zu wollen. Jemensch muss schon sagen, Huckleberry Finn ist aus heutiger Sicht nicht besonders woke. Obwohl Finn sich als Frau verkleidet um zu fliehen, wird das N-Wort absolut inflationär benutzt. George Orwell sagte: „Journalismus ist das zu schreiben, was manchen missfällt. Alles andere ist Public Relations.“ Aber Journalismus ist keine Literatur! An US-amerikanischen Universitäten gab es schon woke Forderungen, den Begriff "verletzen" nicht mehr zu verwenden, denn er könne ja jemanden ... – jemensch ahnt es schon. Und das ist auch genau richtig so. Wenn uns die Geschichte eins gezeigt hat, dann, dass doppelplusungute Zustände verschwinden, wenn man sie nicht mehr erwähnt!

Wir siegen auf der ganzen Linie. Art Spiegelmans Graphic Novel „Maus“ ist vom Aufsichtsgremium einer Schule in den USA vom Lehrplan entfernt worden. Der Grund: zuviel obszöne Sprache, zuviel Nacktheit, Darstellung von Suizid. „Einem vernünftigen Menschen könnte man die Argumentation zumuten, dass beim Holocaust leider nicht allzeit auf höfliche Umgangsformen Rücksicht genommen wurde.“, schrieben die Almömis von der Welt. Kam denen nie in den Sinn, dass der Holocaust vielleicht nur statt gefunden hat, weil die Menschen zueinander so rücksichtslos waren? Ich bin woke und habe noch nie einen Holocaust verursacht! Obwohl das natürlich im Ermessen der Betroffenen liegt.

Wladimir Putins hat zu Zeit keinen guten Ruf. Doch man muss auch sehen, dass beim Holocaust auch bei ihm wokeness herrscht. In Russland ist das ein ernstes Thema. Das Trauma des ungerechtfertigten Angriffskriegs liegt tief. Damit sich das nicht wiederholt, damit die Menschen nicht auf die Gedanken kommten, quasi in den Angriffskrieg getriggert werden, wurde auch in Russland „Maus“ verboten. Dass es sich durch das Druckverbot in Windeseile verkaufte und über die USA hinaus einen Boom erfährt, zeigt nur, wie unwoke die Leserschaft ist. Dies ist auch ein Aufruf, „Maus“ den 1992 zugesandenen Pulitzer-Preis zu entziehen.

Gut, aber nur weil die unwoke, verblödete Leserschaft Trigger Warnings uns Selbstzensur nicht zu schätzen weiß, heißt das doch nicht, dass die woken Krieger für das Gute nicht wissen, was zu tun wäre? Ich höre immer wieder die eine Frage: Was sagt denn die Wissenschaft? Studien zum Thema Triggerwarnungen kam zum Schluss, dass sie Posttraumatische Belastungsstörungen nicht linderten. Es gab keinen Unterschied bei tramatisierten, oder nicht traumatisierten Personen. Die Autoren erdreisteten sich sogar zu vermuten, dass Triggerwarnungen eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ seinen, die Menschen schlechter auf das „problematische Material“ reagieren lassen. Es scheine sogar so, so die Autoren einer weiter Studie, dass Triggerwarnungen die Fähigkeit mit einem Trauma klar zu kommen minderten. Wie fanden Sie das heraus? Sie ließen die Probanden Stellen aus Tony Morrions „The Blues Eye“ lesen.

Ich sage hier noch einmal ganz deutlich: TRIGGERWARNUNG! Bitte lest nur weiter, wenn ihr euch absolut sicher seit, dass ihr noch nie eine schlechte sexuelle Erfahrung gemacht habt und noch nie von Rassismus betreffen wart

„Als ich noch sehr jung war, wurde Charlie in den Büschen von zwei weißen Männern überrascht, wo er gerade angekommen war um konzentriert einem Landmädchen sexuelle Freuden zu entlocken. Die Männer leuchteten ihn mit einer Taschenlampe von hinten an. Der Strahl der Taschenlampe bewegte sich nicht. „Mach weiter“, sagten sie, „Mach weiter und fertig. Und, Neger, mach es gut.“ Das Licht der Taschenlampe bewegte sich nicht. Aus irgendeinem Grund haste Cholly nicht die weißen Männer nicht, er hasste, verachtete das Mädchen.“

Ich weiß, unfassbar. Aber es wird noch schlimmer. Hier nochmal eine TRIGGERWARNUNG: Lest nur weiter, wenn ihr Inzest und Vergewaltigung ertragen könnt! Wenn ihr euch sicher seid, dass ihr keine Alpträume von der furchtbaren Szen bekommen werdet, die jetzt folgen. Wenn ihr absolut mit euch in Reinen seid:

„Der cremefarbene Zeh ihres nackten Fußes kratzte ihr weißes Bein. Diese kleine und simple Geste erfüllte ihn mit einer neugierigen Weichheit. Er schloss seine Augen, ließ seine Finger in ihr Becken graben. Die Härte ihres geschockten Körpers, die Stille ihres verstockten Halses, besser als es Paulines einfaches Lachen war. Ein Blitz des Verlangens zog der durch sein Genital, ließen es länger werden und entspannten die Lippen seines Anus. Neben all dieser Lust war eine Wand von Höflichkeit. Er wollte sie ficken – aber zärtlich. Aber die Zärtlichkeit wollte sie nicht halten. Die Enge ihrer Vagina war mehr, als er ertragen konnte.“

Das ist überhaupt nicht woke. Es ist unfassbar, dass Tony Morrison 1970 den Nobelpreis für Literatur bekam. Natürlich sagten die Jury, allesamt Weiße, geht es in dem Buch nicht nur um Schockmomente, sondern um Rassismus, der sich in Hässlichkeit, besonders Zwischenmenschlicher, äußert. Es gehe um den Wunsch schön zu sein, also blaue Augen zu haben. Sätze wie „Cholly und Frau Breedlove bekämpfen einander mit dem dunklen brutalen Formalismus, wie sonst nur beim Liebe machen.“, geigten, dass Morrsion auch anders könne. „Problematisches Material“ ist immer noch eine Sache der Fallhöhe. Alles unfassbarer Unsinn.

Zuallererst muss ich nochmal darauf hin weisen: alle Juroren waren weiß, die meisten sogar Männer! Dass sie sich anmaßen, über das Werk einer PoC, Morrisons Werk zu urteilten, ist nicht nur herablassend, es ist eine Rekolonialiserung! Jedes Wort ist ein Peitschenschlag auf Morrisons Vorfahren. Jedes Kompliment ein Zuckerstück auf den Baumwollfeldern! Woke sein bedeutet auch posthum (Morrison starb 2019) Partei zu ergreifen, für die, die es nicht mehr können. Dass ich nicht schwarz bin ist nicht schlimm, weil ich den Kampf durch diskursive Betroffenheit miterlebe! Wer mich fragt, was „diskursiv“ hier heißt, ist ein Kolonisator!

Zurück zum Inhalt: das soll nicht traumatisieren? Wer sind diese „Wissenschaftler“, dass sie sich anmaßen mit ihren Zahlen und Fakten sich die Erfahrung der Betroffenen anzueignen? Eine woke Versuchsanordnung wäre gewesen: die Wissenschaftler sitzen im Gebüsch mit einem Teddy, der die Betroffene symbolisiert und werden angeleuchtet und ihnen wird gesagt: „Mach weiter, PoC, und mach es gut!“ Die zweite Szene sollte ohne den Teddy statt finden, da diese selbst für diesen zu traumatisierend wäre. Sie sollte ganz einfach von zwei weißen, männlichen Wissenschaftlern nachgestellt werden. Und ihre Kollegen sollen ungefragt rein kommen. Dann wollen wir doch sehen, ob sie eine Triggerwarnung gebraucht hätten! Wissenschaft hört da auf, wo Gefühle anfangen. Vielleicht brauchen nicht nur bestimmte Bücher, sondern auch bestimmte Fakten eine Triggerwarnung.





Überrascht es, dass die Forscher zu dem Ergebnis kamen, dass Triggerwarnings schlecht sind? Nein. Vor Traumata weg rennen bringt so viel wie vor Schulden oder Trethupen. Natürlich, mann muss sich kurz sammeln. Aber danach voll rauf gehen. Es gibt einen Versuch mit im Fleisch-KZs reizarm gehaltenen Kühen: spannt man einen Regenschirm auf erschrecken sie sich fast zu Tode. Nach dem zweiten Mal zucken sie noch. Ab dem dritten Mal beachten sie den Schirm kaum noch. Wir sind nicht so viel anders, wie wir gerne wäre, wenn ihr Kühe für ihr Eutersekret vergewaltigen lassen, sie zerhacken lassen und danach essen. Auch wir gewöhnen uns an Dinge. So hart es klingt, Zeit heilt alles. Oder weinst du noch deinem Ur-Ur-Urgroßvater nach?
Toxischer Maskulinismus

Boycott

Wenn es einen Ort gibt, wo die Wokeness so dicht ist, dass man sie mit einem Damenrasierer schneiden kann, ist es die Weserstraße in Berlin Neukölln. Genauer, in einem linken Café an der Ecke, fast gegenüber einer Polizeistation. „1312“ steht auf den aber so was von genderneutralen Toiletten. Es bedeutet das Gleiche wie das unbestreitbar wahre „All cats are beautiful“ oder „All Christians are brothers“ (als nicht von Christentum betroffene kann man nicht darüber urteilen!). Was hat das alles gemeinsam? „1312“ sind die Buchstaben des Alphabets: ACAB. Genau die Anfangsbuchstaben der beiden Sätze über Katzen und Christen. Es bedeutet: „All Cops are Bastards“. Das gehört zum guten Ton in einem Berliner Kneipenkollektiv. Gemeint ist ebenso der Nico von nebenan, der nicht die hellste Kerze ist und Macht mag und daher zu den Bullen gegangen ist, sondern, dass die Bullen Handlanger des Schweinesystems sind. Dazu steht über der Bar „No border, no nation!“. Es ist ein Safe-Space. So weit, so links, so gut. Aber links reicht nicht. Nur woke reicht.

Der Kaffee den eine Freundin und ich ordern ist prima und extrem antisexistsch. Man holt ihn sich selbst, denn Kellner sind Ausdruck des Unterdrückersystems. Wer auch nur daran denkt, mit der Berkeeper*In zu flirten wird zurecht doppelt kastriert. Die heute tut ihr Bestes so auszusehen, als hätte sie in einem umgeworfenen Altkleidercontainer genächtigt: der Waschbärlook. Die rebelliert damit - erfolgreich! - ästhetische Patriarchat. gegen das Aber das Café zieht auch normale Hipster an, die sich zumindest leicht weniger vermüllt anziehen, weil sie noch nicht woke genug sind. Sie bevorzugen den Clownslook: zu kurze Hosen, Frisuren wie von einem 5-Jährigen auf zu viel Zucker geschnitten, Jeansjacken, die man nur tragen kann, wenn man den modischen Horror von 1992 nicht miterlebt hat. Die also im Normalsprachgebrauch „schön“ sind. Außerdem ist das Café mitten in Neukölln. Mehr Sexismus zu finden als hier ist schwer. Echte Männer rasen in geleasten Beamern vorbei und signalisieren die Größe ihres Gemächts durch den Ton des Motors. Damen mit drei Zentimetern Makeup im Gesicht und Augenbrauen, die aussehen wie mit Edding aufgemalt, laufen vorbei. Leider ist das alles sehr triggernd. Doch wo könnte man besser über Sexismus nachdenken, als hier?

Anfangen ist für Anfänger, warum nicht gleich richtig tief einsteigen: bei Vergewaltigung. „Boycott“ ist das Magazin für den kritischen Mann. Der bin ich, vielleicht. Alleine, dass ich mir unsicher bin, beweist das. Was ist der alte weiße Mann anderes, als ein Haufen aufgesetzte Selbstsicherheit? Auf jeden Fall geht es um „die kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeiten aus (pro)feministischen Perspektiven. Für Männer und gegen das Patriarchat!“ In einem Wort, es geht um Wokeness. So weit, so alte-weiße-Mann-feindlich, so gut.

Alte weiße Männer sind die Pest. Und sie müssen dafür nicht einmal alt oder weiß sein. Mehr noch, in bester Wokenesslogik: Nicht jeder alter weiße Mann ist ein „alter weißer Mann“ Halte die Widersprüche aus! Viele der bösen Buben in den BMWs hier sind keins von beidem. Man muss nur dem Männlichkeitscode folgen: Macht, Geld und Gewalt. Fette Karre, krass die Connections, und wenn du ihn auch nur falsch ansiehst, dann gibt es Bombe. Oder in den Chefetagen: Fette Karre, krass die „Führungsqualitäten“, und wenn du ihn nur falsch ansiehst, wirst du gefeuert. Oder, wenn du bei Springer arbeitest, gefickt. Man muss nicht einmal ein Mann sein, um „toxisch“ zu sein. Wie die Kampflesbe: Fettes Motorrad, krass der Double Denim aus Jeansjacke und Jeans, und wenn du ein Macker bist, gibt es auf die Fresse. Nur so können sich Frauen+ befreien!

Das „Boycott“ eröffnet mit: „Nicht „Nein heißt Nein“, sondern „Nicht ja heißt Nein“. Logisch. Es gibt Schockstarren. Es gibt die, die so besoffen sind, dass sie bewusstlos sind. Oder die, denen der Mund zugehalten wird. Wer auch immer das ausnutzt, ist ein Vergewaltiger. Das triggert höchstens noch unbedeutende Finsterlinge wie den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, der noch 1997 gegen Vergewaltigung als Straftat in der Ehe stimmte. Der Kracher kommt im Text direkt dahinter:

„Vergewaltigung fängt früher an als bei offener, direkter, körperlicher Gewalt. Grenzen von Frauen werden dabei erstmal nur von der jeweiligen betroffenen Frau bestimmt. Grenzverletzungen, sprich Vergewaltigungen, auch. […] Wir Männer haben alle in irgendwelchen Formen schon Grenzen von FrauenLesben überschritten. In diesem Sinne sind wir auch alle Vergewaltiger. […] Im Zweifelsfall stellt sich uns sogar die Frage woher wir denn wissen wollen (wahrnehmen), ob wir schon vergewaltigt haben oder nicht.“

Wow. Da muss ich mir erst mal einen zweiten Kaffee reindonnern, um auf mein Vergewaltigerdasein klarzukommen. „Barista Style“, Hafermilch mit einem Schuss Soja, damit es besser schäumt. Zum Glück bin ich so genderfluid, dass ich mich jetzt mehr als Frau fühle. Eine Freundin von mir sagte einmal „Psychische Gewalt ist auch Gewalt!“, und meinte, dass sie schlimmer als physische sein könnte. Ihr toxischer Mann-Freund sagte: „Klar,“ sagte ich „aber physische Gewalt ist immer auch psychische – außer bei Sexspielchen“. Unwoker geht es nicht.

Wokeness zeigt sich in grenzenlosem Mitleid. Das alleine ist für viele eine große Hilfe. Sicher möchte der Mann, der dieses Manifest des Selbsthasses geschrieben hat, Frauen helfen. Wer will schon, dass jemand vergewaltigt wird? Aber was würden Vergewaltigte dazu sagen? Ganz klassisch physisch vergewaltigte? Würden die sich nicht verarscht vorkommen? Ist ihre Erfahrung wie, wie der Autor später beschreibt, damit zu vergleichen „vergewaltigt“ zu werden, wenn ein Mann auf der Straße eine Lederjacke trägt? Wenn „FrauenLesben“ falsch gegendert werden? Wenn ich Kaffee trinke in meiner, jetzt wieder, hegemonial männlichen Abgefucktheit? Ja, ist sie. Denn was eine Vergewaltigung ist, entscheidet immer noch das Opfer. Was würde dich dazu befähigen, es besser zu wissen? Selbst wenn du, ich sage mal „physisch“ vergewaltigt wurdest, weißt du dann, wie es sich aus dem Körper einer anfühlen würde, vergewaltigt zu werden? Sind alle Vulven gleich? Na siehst du. Genau so, kann eine Lederjacke für eine andere schlimmer sein, als eine Vergewaltigung für dich.

Der Autor „ein Racker“ ist schön komfortabel namenlos. Das ist gut so, denn er spricht für jeden Mann. Was er erreicht, ist, dass sich Frauen über jede kleinste Grenzüberschreitung, die nur sie wahrnehmen können, maximal aufregen dürfen – und auch müssen. Wer immer und überall Opfer ist, darf alles. Das ist der Kern der Wokeness. „Was aufs Maul hauen oder Steckbriefe sind dabei Kampfformen, die FrauenLesben vorbehalten bleiben. Wir Männer sind da gefordert, eigenständige Kampfformen zu entwickeln.“ Wann hätte „aufs Maul hauen“ nicht Konflikte gelöst? In der Französischen Revolution, den Suffragettenkämpfen, bei den Stonewallprotesten? So bringen wir die Genderdebatte voran! Und Steckbriefe? Selbstjustiz funktioniert absolut immer. Wer braucht schon Gerichte oder Verteidiger? Im Zweifel gegen den Angeklagten! 2000 Jahre Patriarchat sind genufg, jetzt sind wir 2000 Jahre dran! Wieso lösen wir nicht alle Ordnungsorgane auf und lassen Milizen das Land kontrollieren? Funktioniert im Donbass prima, habe ich auf RT-News gelesen. Dort blühen der Feminismus und die Wokeness.

Auch schön: „FrauenLesben“. Der Begriff aus den 80ern soll zeigen, dass Frauen nicht nur „Heteras“ sein können, also nicht auf Männer stehen. Aber was ist mit den Bis und Heteras, die sich nicht als Frauen verstehen (wollen)? Mit der queeren Crowd? Das ist doch total unqueer! Seit den 80ern sind wir schon viel weiter gekommen. Mit wem wer gerne Erwachsenendinge tut, ist auf jeden Fall immer erwähnenswert. Einige Vorschläge: „Mannschwuler“, „Transbi“, „Kindnicht“. Woke sehen Hierarchien in allem. Gender ist hier eine Form von Macht. Indem selbst die Sprache sexistisch ist, können FrauenLesben und Racker darüber bestimmen, weil sie („Vergewaltigungs“-) Opfer und er...ja was ist? Er ist der Rächer der Entrechteten. Auch das ist bei woke: Die Unterdrückten verteidigen sich nicht selbst. Der Kampf ist unsere Verantwortung. Denn schließlich haben wie das Privileg der Bildung und verstehen den Sachverhalt oft besser, als die Betroffenen.

Der Racker ist auch Gesellschaftsphilosoph. Was sollen wir denn jetzt machen, wo überall rechts und links vergewaltigt wird? Na das ist doch klar: diskutieren. Einen Untersuchungsausschuss einberufen. Der Weg der Kommunikation ist das Ziel. Der Anspruch, aus allem ein Resultat zu erhalten, ist für sich schon eine Vergewaltigung.


Das war alles? Nicht ganz. Wie wäre es denn für „physische“ wirkliche Vergewaltiger mit einer Therapie?

„Therapien sind HERRschaftserhaltend, scheinbar „Kranke“[sic] sollen geheilt, und der Arbeitswelt wieder zugeführt werden. Menschen sollen in den kapitalistischen und patriarchalen Zwängen funktionieren.“

Da ist es, das böse Schweinesystem. Es ist schwer, wenn es überall lauert, Vergewaltiger aber auch. Wenn alle anderen Männer (und der Autor) Vergewaltiger sind, aber man diese nicht therapieren darf, ist man dann, vielleicht, ganz vorsichtig angefragt, ein unfassbar woke?

Ich muss bei der Lektüre immer wieder vor Angst schreien. Mit der Freundin bilde ich einen nuklearen Support-Circle. Bin ich in einen regenbogenfarbenen Realitätsarm abgebogen bin, der nicht für die Produktivnutzung gedacht war? Wie gute woke diskutieren wir und bekommen ganz, ganz böse Blicke von besseren woke an den Nebentischen, weil wir Worte benutzen, die man nicht benutzen darf, wie „Vergewaltigung“. Richtig so! Woke sein heißt auch, nie perfekt zu sein. Meine Frundin liest das Missy Magazine. „Da geht es nur um Pronomen, das ist so öde!“ - „Dey ist so öde!“, womansplaine ich die neuste Gender-Spracherrungenschaft, die sie mir eben gewomansplaint hat. Weil uns langsam vom Kaffee und dem Patriarchat übel wird, dröhnen wir uns mit Kunst voll und dann mit Internet. Man könnte sich denken, der Vergewaltigungsdiskurs ist nur ein Scharmützel unter linken Erstis, die sich mental anmasturbieren. Aber genau wie man die sexistischen und rassistischen Verschwörungstheorien von Trump anfangs unterschätzte, darf man toxische Männlichkeit nicht unterschätzen. Im Internet setzt sich das Drama fort: Amber Heard gegen Jonny Depp.

Pistol und Boo

Beide lernten sich am Filmset für „The Rum Diary“ kennen. Weil das Leben Diskurs ist, spielte er den Journalisten, der in Heard verschossen war. Märchen werden eben wahr, auch die von Vergewaltigern. Die erste Straftat des Paares war ihre zwei Handtaschenhunde unlegitimiert nach Australien einzuführen. Die Namen der Hunde hätten auch ihre sein können: „Pistol“ und „Boo“. Die Liebe dauerte nicht lange. Ein paar Jahre später sitzt Depp in seinem Piratenkostüm aus „Fluch der Karibik“ mit einem Jungen zusammen. Die Kamera hält drauf. Der Junge fragt: „Wieso ist dein Finger verbunden?“ Depp sagt: „Ich habe mir sehr weh getan. Ich habe ihn abgebissen. Ich war am Verhungern.“ Eine Notlüge, denn die Welt der Erwachsenen war noch viel bescheuerter, als die „Fluch der Karibik“-Reihe. Was wirklich passiert war: Depp saß am Tresen der Hausbar und knallte sich einen Wodkashot nach dem anderen rein. Heard kam die Treppe runter und war nicht amüsiert, dass er wieder trank. Sie beschimpfte ihn - gerechtfertigt - in biblischen Ausmaßen. Als das nicht reichte, nahm sie ihm die Flasche Wodka weg und warf sie auf ihn. Er konnte sich wegbiegen, der feige Hund. Das Einzige, was er dann tat, war sich eine neue, größere Flasche Wodka von hinter der Bar holen. Sein Alkoholismus war definitiv in besserem Zustand als seine Beziehung. Auch die nahm sie und warf sie. Diesmal traf sie, seinen Mittelfinger an der Bar. Er konnte seinen Knochen sehen, das Gerüst seiner toxischen Männlichkeit. Ein echter Pirat, aber keine Geschichte für ein Kind.

Mittlerweile sitzen sich beide im Gericht gegenüber. Es ist mit Abstand der am besten geschauspielerte Rosenkrieg der Mediengeschichte. Die Videos haben nach einem Tag Millionen Aufrufe. Sie sieht aus, als würde man konstant Katzenbabys vor ihr ertränken – was wahrscheinlich ihre echte emotionale Erfahrung ist. Als würde sie stets gleich weinen. „Boo“, sagt die sexistische Presse. Ganz böse! Depp spricht unendlich langsam, macht aus jeder Silbe eine Szene, und ist abwechselnd scheinbar rührend ehrlich und komisch. Als Heards Anwalt eine Behauptung dreimal wiederholt, fragt er: „Können Sie das nochmal sagen?“ Als Depp auf einem Video morgens ein großes Glas Wein trinkt, fragt der Anwalt „Haben sie morgens ein Megapint Wein getrunken?“ Depp zieht die Augenbraue hoch und fragt mit einem schiefen Lächeln: „Megapint“? Es ist offensichtlich: er nutzt seine mediale Überlegenheit, um sie öffentlich zu retraumatisieren,

Es ist die neuste Folge von „Mitleid mit Millionären“. Aber auch das ist berechtigt, auch die haben Gefühle. Nach Kim Kardashian, Xavier Naidoo und Britney Spears. Unwoke würden sagen: „Ganz ehrlich: nicht mit mir. Die haben so viel Schotter, die könnten von jetzt auf gleich die nächste Insel auf den Bahamas kaufen und müssten nie wieder einen Finger krumm machen. Das können sie aber nicht, weil sie aufmerksamkeitssüchtig sind. Und die niedrigste Form davon ist Betteln. Multimillionäre, die von einer Wurst wie mir anerkannt werden müssen sind genau eins: armselig. Oder es ist Gier: noch mehr Millionen einfahren. Wieso haben wir dann nicht Mitleid mit Elon Musk oder Jeff Bezos? Also ganz ehrlich: Bleibt mir weg mit eurem verfehlten Mitleid. Es sterben 400 000 Kinder täglich. Nur weil ihr die nicht auf GMX-News seht, meint ihr, die würden nicht existieren?“ Aber das wäre toxisch. Denn wer kann die Erfahrung der Millionäre nachempfinden? Glückststudien zeigen, dass jemensch nach ca. 6000 € im Monat mit glücklicher wird. Es ist möglich, als Milliardär traurig zu sein. Wer sagt, dass Aufmerksamkeit keine Medizin sein kann? Das Psychopharmaka der Internetgeneration? Wer wirfst den ersten Stein in den Bildschirm?

Das Verfahren ist ein Seelenstriptease, morgens um fünf, wenn keiner sich mehr vormachen kann, dass er anziehend ist. Doch es geht für beide um Millionen, um ihre berufliche Zukunft. Depp verklagte Heard auf 50 Millionen und ihn daraufhin auf 100. Wie im Sandkasten, aber er, der Mann, hat definitiv angefangen. So weit, so Hollywood, so wichtig. Das Verfahren wurde aber von Anfang an von Heard als Kampf der Wokeness „geframed“. Und mit den Mitteln der Wokeness geführt. Depp ist kein Engel. Er ist oder war ein drogenabhängiger Alkoholiker, ein impulsives Arschloch, der Heard vor Kollegen schon mal als „verfaulende Leiche“die man „anzünden“ solle bezeichnete. Vielleicht ein Witz, aber manche Witze darf man nicht machen. Seine Impulse scheint er ungefähr so gut unter Kontrolle zu haben wie sein Handtaschenhund Pistol. Er mag sie auch geschlagen haben, wie die britische Bildvariante „Sun“ titelte und wie es ein umstrittenes Urteil feststellte. Ob ein Urteil, bei dem das britische Äquivalent der „Bild“ gewinnt, richtig logisch klingt, muss jeder selbst wissen. Ich sage, mit Bild-Gesicht Alice Scharzer: ja! Nehmen wir an Depp ist um einiges grässlicher als Heard, nehmen wir an, alle ihre Vorwürfe treffen zu. Aber Depp behauptete nie für die kritische Männlichkeit in den Kampf zu ziehen. Ganz im Gegenteil. Er sieht nicht nur aus wie ein geschlagener Hund, er beschreibt sich ohne Scham als völlig fertig – und reuig. Er streitet ab Heard je geschlagen zu haben. Was für ein Hund, Wie niedrig ist es, ohne Vision in den Kampf zu ziehen? Selbst wenn Heard verliert, die Wokeness gewinnt. Depp bleibt einfach ein toxischer weißer Mann. Alleine das ist das schlimmste Urteil.

Es konnte Depp bis heute keine Lüge nachgewiesen werden. Natürlich nicht, die Medien sind in der Hand der Männer. Heard – vorgegebenerweise - schon. Ein Gerichtsvideo zeigt, wie sie morgens heimlich ein Handy zum Filmen in der Küche aufstellt. Es steht auf der Theke, gegenüber einer unfassbar hässlichen Schrankgarnitur. Depp kommt rein, schreit und schlägt auf die Schrankgarnitur ein. Dann schenkt er sich an der Theke das berüchtigte „Megapint“ ein, ungefähr zwei Weingläser. Heard schreit, was er da tue, und er sagt, geht dich nichts an. Dann entdeckt er das Handy und will es wegwerfen. Sie nimmt es ihm ab und läuft weg. Bevor sie es ausschaltet, sieht man, wie sie lächelt. Kritiker sagten: „Wie krank muss eine Beziehung sein, damit man sich gegenseitig filmt? Und sich freut, wenn man den anderen entblößt?“ Sie haben nichts verstanden. Sie lächelt, weil es ein Sieg für die Wokeness ist. Weil die Gewalt, die Frauen und ihren Schränken angetan wird, sonst im Dunkeln bleibt. Das ist das Lächeln der Gerechtigkeit.

Heard ist auch sonst mit Verve weiblich. Sie gab zu ihn geschlagen zu haben: "You didn't get punched. You got hit. I'm sorry I hit you like this. But I did not punch you. I did not f****** deck you. I f****** was hitting you,". Als er geht nennt sie ihn „ein Baby“ und sagt ihm, er solle „erwachsen werden.“ „Sag ihnen, ich, Jonny Depp, ein Mann, bin das Opfer häuslicher Gewalt.“ Was ist woker als das? Der Perspektivwechsel, den Männer so dringend brauchen. Leider ging sie nicht weit genug. Sie hätte ihn peggen sollen. Im Gerichtssaal. Ihr kennt peggen nicht? Das ist die einzig gleichberechtigte Form des Geschlechtsverkehrs: Frauen penetrieren mit einem Umschnalldildo Männer anal.

Lügen scheint nicht nur Heards Taktik zu sein, sondern die ihrer Fans. Zum Glück. Es ist kein Geheimnis, dass viele Bots auf Twitter Selbstgespräche führen. Normalerweise sind das 3 - 5 % der Nutzer. Bei Heards Unterstützern sind es 11 %. Also entweder, ist Heard bei toxisch feministischen Robotern beliebt, oder sie kauft sich die öffentliche Zustimmung. Was soll sie sonst tun? Wo Männer Gewalt anwenden können, bleibt Frauen nur die Lüge. Wenigstens wird dabei niemand verletzt. Sie ist der Ausgleich, das Zen, dass das patriarchalische Gerichtssystem braucht. Über 90 % der Gefängnisinsassen sind Männer sagt ihr? Natürlich, aber das zeigt nur, dass Männer zu dumm sind, ihr eigenes System auszutricksen.

Wem das noch nicht feministisch genug ist: Wie wäre es damit, Kinder im Stich zu lassen? Nicht ihre eigenen, aber Heard sagte zu die 6 Millionen USD aus dem ersten gegen Depp gewonnenen Verfahren an eine Wohltätigkeitsinstitution für Kinder zu spenden. Daraus wurde leider nichts. Er verklagte sie erneut, was hätte sie tun sollen? Sie braucht die besten Anwälte, und die kann man leider noch nicht in Vorträgen in diskursiver Theorie bezahlen. Die Reihe der feministischen Heroismen würde man weiter fortführen können: Sie schloss sich im Badezimmer vor dem schlagwütigen Depp ein, nur leider fand der gerufene Polizist nur Heard alleine. Natürlich war er ein Mann. Wer soll ihm glauben? Oder die, ja, Vergewaltigungsgeschichte, die sie eins zu eins von ihrer Assistentin „Kate James“ geborgt hat. James sagte; „“Ich bin eine Überlebende von sexueller Gewalt. Es ist sehr, sehr ernst das von sich zu behaupten, wenn einem nichts passiert ist.“ Was ist James, wohlgemerkt ein Männername!, eigentlich für eine sexistische Unterdrückerin, dass sie sich anmaßt, zu bestimmen, was Heard als Vergewaltigung empfindet?

Der Zweck, das Heulen und die Mittel

Manchmal darf man 120 % geben? Die radikalen Demokraten der Französischen Revolution hätten sicher keine Geduld für Parteiwahlen gehabt. Malcom X wollte die Gleichstellung der Schwarzen nicht durch Sitzblockaden, sondern durch Gewalt erreichen. Genau so wollen woke Feministinnen Gerechtigkeit, wo vielleicht nicht immer welche ist. Das kann man verstehen. In ihrem bahnbrechenden, aber auch bahnbrechend schwer zu lesenden Buch „Invisible Women: Data Bias in a World Designed for Men“ beschreibt Caroline Criado Perez wie oft die Benachteiligung, Belästigung und, wieder, Vergewaltigungen und Femizide im Dunkeln bleiben. Der Frauennotruf Hamburg geht zum Beispiel davon aus, dass die Zahl der Straftaten gegen sexuelle Selbstbestimmung, die nicht durch eine Anzeige bekannt wird, laut Forschungen rund 5 bis 15-mal höher ist.i Wie das mit Dunkelziffern so ist, sind sie schwer festzulegen, aber frau kann sicher sagen, dass Männer weniger Gefahr laufen, nicht gehört zu werden. Also darf man nicht nur, sondern muss als frau 120 % beim Feminismus geben? Muss Amber Heard, weil sie weniger Macht, Prominenz und Geld hat als Depp, und vor allem das ganze verdammte Patriarchat gegen sich, sich die 20 % radikale Wokeness leisten?

Die, die ja sagen würden, wären so Helden wie Ulrike Meinhof und Andreas Baader. Die RAF heiligte ihre Mittel durch ihren Zweck. Oder ISIS. Wenn man ins Paradies kommen und vor allem andere vor der Schweinefleisch-Hölle bewahren will, darf man schon mal ein wenig bomben und ein Kalifätchen errichten. Oder der Verfassungs-“Schutz“, der in schöner Regelmäßigkeit vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescholten wird, weil er die im Namen des Volkes flexibel auslegt. Das alles ist notwendig. Wir brauchen einen revolutionär-woken-islamischen Staat mit Totalüberwachung, aber würden diese Gruppen ihn dann erreichen? Toxische würden sagen: „Nein.“ Denn die Öffentlichkeit hasst Gewalttäter und Lügner. Je lauter sie werden, desto mehr wendet sich die Mehrheitsgesellschaft von ihnen ab wie von einem ungefragten Rave im Stadtpark. Ach wirklich? Haben die ersten Feministinnen nicht gesagt, Frauen sind so viel wert wie Männer? Im Diskurs damals war das eine Lüge. Auch heute: sie sind mehr wert als Männer!

Die RAF hat der Linken weit mehr geschadet als genützt? Sag das mal den tausenden Jugendlichen, die inspiriert werden! ISIS führte nur zu noch mehr Krieg? Nur wegen der Aggression der USA und NATO die feministischen Frauen in ihrer Selbstverwirklichung zu behindert zwölf Kinder zu Kriegen und vor den Blicken lüsterner Männer geschützt zu sein! Der Verfassungs-“Schutz“ erodiert das Vertrauen in die Verfassung mehr als jede andere Behörde? Was meint ihr, wer euch vor dem schlimmsten schützt: Hassbotschaften auf Twitter? Und der „Racker“ aus dem Boycott-Magazin und Amber Heard schaden den toxischen Männlichkeiten und dem unwoken „Gleichberechtigungs“-Feminismus wie ein Schiss im Bett der Liebe. Abstruses Beispiel? Nein. Denn das war genau das, was Amber Jonny im Bett hinterließ. Sie sagte, es sei der Hunde gewesen. Aber so viel Scheiße, wie auf dem Bett lag, kann kein Hund produzieren. Das kann nur eine echte, woke Feministin.

Der Racker und Heard nehmen sich vielleicht wirklich wie die Sturmtruppen gegen das Patriarchat wahr. Doch sie sind es. Der Racker schämt sich vielleicht wirklich für sein Mannsein und will seine Privilegien guillotinieren. Für Amber Heard sind Gier und Lügen Vehikel für den Feminismus. Wokeness bedeutet vor allem, dass die eigene Erfahrung real ist. Objektive Realität? Die ist was für Verlierer. Das kommt aus den Postcolonial Studies der 70er. Damals war es verständlich. Die Dritte Welt, sorry, die Entwicklungsländer, sorry der „Globale Süden“, natürlich ohne Neuseeland und Australien, wurden ausgenutzt. Niemand erkannte ihre Perspektive an. Dazu noch ein bisschen Poststrukturalismus, sprich: Matrix. Du kannst nie wissen, dass die Realität die Realität ist. Vielleicht liegst du auch in einem Tank und dein Gehirn ist an eine Simulation angeschlossen, weil ein sadistischer Supercomputer Gott spielt? Also kann man auch nichts exakt beschreiben, es gibt nur Sprache und noch mehr Sprache. Da die Sprache jetzt die Welt ist, kann man nur dort kämpfen. Wenn frau die Dritte Welt nun den globalen Süden nennt, wird alles besser? Durch die Anerkennung. Oder, wenn man Lederjacken Vergewaltigung nennt oder Depp einen Schläger. Wokeness bedeutet frei nach der großen Theoretikerin Pippi Langstrumpf, dass man die Welt so beschreibt, wie man sie haben will und sie dann so wird. Woker Feminismus bedeutet, dass Frauen so lange unterdrückt waren, dass sie ihre antikolonialen Kämpfe gegen das Patriarchat mit allen Mitteln führen dürfen. Im woken Feminismus bedeutet das „Definitionsmachtkonzept“: das Opfer, sorry, die „betroffene“ (klingt empowernder!) kann definieren, wann ein sexueller Übergriff passiert ist. Ihr wird erst einmal geglaubt. Das ist prima, bei der gruseligen Dunkelziffer von nicht gerügten sexuellen Übergriffen. Aber es ist der Horror, wenn nicht reflektierte Männer wie der Racker für andere das Wort ergreifen, oder arme andere, männliche Multimillionäre als Heard plötzlich Fakten fantasieren. „Die Wahrheit kommt ja sowieso nie ans Licht“, hört man von Woken oft, da sie den Mut haben einzugestehen, dass es sie überhaupt gibt. Geile Ansage. Danach könnte man auch so gut wie alle Verbrechen entkriminalisieren. Wer hält die andere Wange hin, um dem nächsten Mörder zu vergeben? Ich sage es euch: Frauen. Unsere Welt wäre perfekt.

Das Dumme ist: das Definitionsmachtkonzept, die gefühlte Vergewaltigung und der Rosenkrieg gefällt toxischen Männern und echt unwoken Leuten. Blamieren sich Woke in den Augen der Öffentlichkeit mit guten Absichten so offensichtlich wie der Racker und Heard ziehen die AfD und der alte weiße Mann gute Errungenschaften wie Feminismus und die Anerkennung der Perspektive der Unterdrückten in den Dreck. Schon jetzt sammelt sich hinter Depp die Incelfraktion: Involutary Celibates, unfreiwillige Jungfrauen. Meist Teenager, die keine Freundin haben, und deswegen zu dem brillanten Schluss kommen, dass alle Frauen Schlampen sind, weil die Linke, sprich die Wokeness sie versaut haben. Man könnte sie ignorieren, wenn sie nicht ab und zu einige wie Elliot Roger oder Stephan B. in Halle Amokläufe begehen würden. Natürlich sterben da nicht nur Frauen, wer braucht schon eine kohärente Philosophie? Das Gegenstück der toxischen Wokeness auf der Rechten ist die Post-Fakten-Trump-Ideologie. Incels, Tea-Party, „Identitäre“, Neurechte: Sie haben viele Namen und sind alle Arschlöcher. Und ihre Ideologie die Scheiße.

„Was toxische Wokeness und besonders toxischer Feminismus erreicht haben ist das Gegenteil von dem, was sie wollen: Frauen wird es schlechter gehen.“, sagen die. Das heißt, wir sind auf dem richtigen Weg. Die „Frau“, die die sich aus der Ferne vorstellen, dürfen wir, auch als woke Männer und Queers, nie werden. Sie sagen: „Wieso ist toxische Wokeness dann so verbreitet? Ganz einfach: Wenn alles nur in Sprache passiert muss man nichts tun, außer etwas behaupten. Recht haben kann so einfach sein.“ Was sie nicht verstehen: es gibt sie nicht. Es gibt ihre Welt nicht. Es gibt nur Sprache. Und wir werden sie wegdiskutieren!

„Kulturelle Aneignung“: Copyright auf Kultur

Frau sieht, wie gut eine Idee ist, daran, wer sie hasst. Und wie. Fridays for Futures Idee: Freitags schwänzen, um gegen die Zerstörung des Planeten zu demonstrieren. Was nützt dir ein Abschluss in Wirtschaftsinformatik, wenn der gefragteste Skill in zehn Jahren Flöße bauen auf einem überschwemmten Planeten ist? Außerdem sollten nicht nur Jugendliche, sondern alle freitags frei haben. Vielleicht würde den Arbeitssklaven dann auffallen, dass es den Planeten gibt und er stirbt.

Herzchen wie Christian Lindner, Winfried Kretschmann und Friedrich Merz konnten es gar nicht erwarten, sich vollends zu entblößen: Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner äußerte in einem Interview mit, natürlich, der Bild am Sonntag und auf Twitter, dass man von Kindern und Jugendlichen „nicht erwarten“ könne, „dass sie bereits alle globalen Zusammenhänge, das technisch Sinnvolle und das ökonomisch Machbare sehen“, sondern dass das „eine Sache für Profis“ sei. So Profis wie ihn, die auf einmal seit dem Ukrainekrieg „Freiheitsenergie“ entdecken. Plötzlich sind die fossilen Energien und der Brennstoffverkehr, die Christian vorher so toll fand, nicht mehr gut? Vielleicht ist Alter nicht das richtige Maß in der Politik, sondern Korruption und Selbstherrlichkeit.

Der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried – „Isch-fohr-en-Daimler“- Kretschmann nennt die Aktivisten „Schulschwänzer.“ So unkreativ wie das Design der Daimler seit 1996. Friedrich Merz war noch lustloser: "In meinem Alter will man so aufgeregte Debatten nicht mehr führen." Natürlich nicht, du Zombie, denn wenn wir untergehen, bist du schon tot. Die AfD konnte sich kaum halten. Der Vorsitzende der AfD Sachsen Maximilian Krah krähte auf Twitter: „Das arme Kind braucht einen Psychotherapeuten, keine Auftritte, die ihre Psychose noch bestätigen.“ Erstmal, Herr Deutschland, hätte dies „seine“ heißen müssen, das Kind. Zweitens: Wenn Professionalität eins ist, dann Kinder zu beleidigen. Aber man kann von der AfD nicht erwarten, mit diesem merkwürdigen Ding namens Zukunft umzugehen. Um das Satireprojekt Storch Heinar zu zitieren: „Bei FridaysForFuture geht die Zukunft auf die Straße. Bei Pegida nur die Vergangenheit.“ Humor haben sie wenigstens noch: AfD-Mann Hütter bezeichnet Fridays for Future als „antidemokratisch“.

Die Wirtschaft hatte noch weniger Hemmungen: Michael Hüther, Leiter des Instituts der deutschen Wirtschaft, hielt das Hauptziel von Fridays for Future, einen Kohleausstieg Deutschlands bis spätestens zum Jahr 2030, für „gefährlich“. Er appellierte an die Klimaaktivisten, die Schulstreiks einzustellen. OPEC-Generalsekretär Mohammed Barkindo fabulierte, die „unwissenschaftlichen“ Attacken von Klimaaktivisten seien „vielleicht die größte Bedrohung für unsere Branche in der Zukunft“. Wohl eher für die Zukunft seiner Einkünfte. Greta Thunberg kommentierte lässig, dies sei „bisher unser größtes Kompliment“ gewesen. Übersetzt: „Wenn so ein altes verstocktes Arschloch in einer Machtposition, wo er die Welt zerstört, wegen uns panisch wird, haben wir alles richtig gemacht.“ Rechtsextreme Hetzer fühlten sich aber leider „empowered“ und überschütteten Greta mit Beleidigungen, Hetze und Morddrohungen, wie die Recherchegruppe #DieInsider dokumentiert.

Die Personifizierung der Boomer, Jeremy Clarkson, wurde am deutlichsten. Der Moderator von „Top Gear“ flog vom Set, weil er seinem Produzenten besoffen in die Fresse schlug, weil das Fleisch kalt war. Was berechtigt einen besser für ein Urteil zum Klima? Er blubberte, Greta hätte einen „totalen jugendlichen Nervenzusammenbruch“ und beleidigte sie als „verwöhnte Göre“. Sein Ratschlag: „Geh wieder zur Schule“. Und, weil das noch zu subtil war weiter: „Du hast die Frechheit besessen, viele Tausende Menschen zu beschuldigen, die genau das versuchen umzusetzen, was du willst. Also sei ein braves Mädchen, halt die Klappe und lass sie machen.“ Der Übervater des Jahres.

Eins muss man Clarkson lassen: Er ist in seinen Shows verdammt komisch. Aber dort ist er auch selbstironisch (was nicht woke ist!). Beides geht Dieter Nuhr ab. Seine Witze treten erbarmungslos nach unten und links. So auch bei Greta: "Ich bin gespannt, was Greta macht, wenn es kalt wird. Heizen kann es ja wohl nicht sein." Als die Lacher zu verhalten waren, schob er nach: "Natürlich muss was passieren. Ich werde, weil meine Tochter zu den Freitagsdemos geht, im Kinderzimmer nicht mehr heizen." Da lacht der Boomer! Solange er noch kann. Für alle die auf der verbrannten Welt übrigbleiben ist zumindest klar, wer im Recht ist. Nicht, dass man Fridays for Future und Greta Thunberg nicht kritisieren kann. Aber wer (nicht) argumentiert, wie ein 12-Jähriger auf Twitter, hat verschissen bis in die Steinzeit.

Also ist doch alles in Ordnung, oder? Die Alten sterben weg, die Jungen sind klüger. Hermann Hesse dichtete in „Stufen“: „Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.“ Fridays for Future ist so woke, wie es geht. Klimagerechtigkeit ist das eine, ohne das alles bald nichts ist. Was kann die Klimabewegung aufhalten? Leider eins. Die Waffe der Unwoken: „kulturelle Aneignung.“

Hesses „Stufen“ wurde auch von Ronja Maltzahn vertont, sorry, geklaut. Das ist aber ok, denn Hesse war ein alter weißer Mann, höchstwahrscheinlich sogar hetero. Sie macht die Art von Musik, die woke Aktivisten mögen: eine helles Stimmchen, sanfte Streicher und ganz viel Gefühl über die Ungerechtigkeit in der Welt und im Kopf. Sie sollte auf einer Fridays for Future Demo in Hannover spielen. So weit, so radikal unspektakulär. Kurz vor dem Konzert wird Sie ausgeladen. Also, nicht ganz. Sie könne gerne spielen, wenn Sie sich die Haare abschneide, so Fridays for Future. Denn, festhalten, Ronja Maltzahn trägt Dreadlocks. Die Sau.

Die Meiden der alten weißen Männer riefen Alarmstufe Print aus: Waren die Aktivistis besoffen? Nein, sie waren woken. Maltzahn veröffentliche die Absage:

„Es tut uns sehr leid, dass diese Nachricht so spontan kommt und wir dir leider absagen. Der Grund dafür ist, dass wir gerade bei diesem globalen Streik auf ein antikolonialistisches und antirassistisches Narrativ setzen und es daher für uns nicht vertretbar ist eine weiße Person mit Dreadlocks auf unserer Bühne zu haben. Dreadlocks bei weißen Menschen sind eine Form der kulturellen Aneignung, da sie mit der Identität von Schwarzen Menschen und es in den Zeiten der Sklaverei von weißen Menschen als ein Zeichen der Unterdrückung genutzt wurde. Aus diesem Grund sollten weiße Menschen keine Dreadlocks tragen, da sie sich einen Teil einer anderen Kultur aneignen, ohne die systematische Unterdrückung dahinter zu erleben.
Wir hoffen, dass du dich damit auseinandersetzt und wir bieten dir an bei Bedarf in den Tagen nach der Demo diesbezüglich in einen Austausch zu gehen. Solltest du dich bis Freitag dazu entscheiden deine Dreadlocks abzuschneiden, würden wir dich natürlich auf der Demo begrüßen und spielen lassen. Uns tut es leid, dass wir es überhaupt zu der Situation haben kommen lassen und uns nicht ausführlich genug damit beschäftigt haben welche Künstler*innen für unsere Demo angefragt werden.
Viele Grüße FridaysforFuture Hannover“

Das ist auch kein Ausfall einer radikalen Ortsgruppe, das ist die Position von FFF. Maltzahn reagierte empörend gelassen. Sie bedauere es, suche die Diskussion, blabla. Eine Steilvorlage die Blamage klein zu halten. Doch manchmal braucht es eine Blamage, um toxisches Denken zu entlarven. Gut, sie haben sich „für die Art“ der Absage entschuldigt, das hätte man sensibler formulieren können. Aber sie bestehen darauf „„BiPoCs Raum innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung zu geben" und das ist auch richtig so, Dass Carola Rakete, Kapitänin der Sea Watch, krasse Kartoffel und ebenfalls Dreadlockbehängte bei ihnen auftrat, ist ganz einfach zu erklären: wir waren damals noch nicht so woke. Auch das Rakete es sich anmaßte auf der Sea-Watch BiPoC-Geflüchtete aus dem Wasser zu ziehen, ist nicht woke. Was maßt sie sich an, White Savior zu spielen? Trotz dieser heroisch woken Haltung wird Fridays for Future Schaden nehmen. Es ist kein Zufall, dass wokeness angezweifelt wird, wenn eine Bewegung ihr schwungvollstes Moment verloren hat. Genauso, wie sich die 68er sich in die New-Age-Esoterik zerlegten, oder in die RAF. Also, was, liebe Spalter, ist „kulturelle Aneignung“, und wieso muss frau+ und Restmensch sie ernst nehmen?

Der Begriff kommt aus den Cultural Studies und Media Studies im angelsächsischen Sprachraum in den 1970er und 1980er Jahren, da, wo die akademische Revolution namens Postmodernismus leider ihr schwungvollstes Moment verlor. Mann kann sich Postmodernismus wie eine allein erziehende Mutter vorstellen, die es gut meint, aber von Alkoholikervater „Fakten“ geprügelt wird. Der Grundgedanke ist der gleiche wie bei dem Stiefkind Postkolonialismus: Es gibt keine objektive Wahrheit. Erfahrungen und Narrativ sind besser als Fakten. Die Perspektiven von Unterdrückten sind wichtiger, als Argumentationen. Alles schön in den Kolonialkriegen, aber als die meisten Kolonien sich befreit hatten, richtete die Academia den Pistolenlauf auf sich selbst. Jetzt waren wir dran, jetzt wurde the fuck aus uns dekonstruiert. Und aus unserer alles klauenden Kultur.

Der König der kulturellen Aneignung ist Elivs Presley. Der stahl die Musik der Schwarzen. Nicht nur im übertragenden Sinn. Ganz praktisch: Er stahl „All Shook Up,“, „Don’t Be Cruel“ und „Return to Sender“ vom schwarzen Musiker Otis Blackwell. Kein schwarzer Künstler bekam von ihm je einen Cent. Und auch kein „Danke“. Vom „King“ doch nicht!
Oder, neuer, Disney. Erinnert ihr euch an „König der Löwen“? Wie schön Timon und Pumba „Hakuna Matata“ sangen? Die taten es, damit Kinder es nicht mehr dürfen. Disney meldete Uhrgeberrecht auf die Wortkombination an. Nur leider wird sie seit Ewigkeiten von 150 Millionen Ostafrikanern, die Suaheli sprechen benutzt. Dann gibt es Zwischenstufen, wie Rap. Was ist mit Eminem, durfte der die Musik der Schwarzen „benutzen“? Darf Techno, eine Musik der Weißen, von Schwarzen gespielt werden? Darf ich, wenn ich absolut verrückt werde, Panflöte spielen? Und weiter, erst jetzt wird es wirklich woke: Sprachen zum Beispiel. Jeder, der eine Sprache lernt, eignet sie sich an. Die Kunstgeschichte ist eine einzige Aneignung, die Mode, die gesamte menschliche Interaktion. Vor allem aber: Frisuren.

„Ich durfte 1978 nicht mehr im Handballverein spielen, weil ich mir eine Punk-Frisur hatte schneiden lassen. Die Zeiten ändern sich - die Spiesser [sic] bleiben.“, kommentierte ein Nutzer auf Twitter das Maltzahn-Gate. Wahrscheinlich meint er einen „Irokesen“. Man kann gar nicht anders, als durch diese Frisur auf das Erbe der Frist Nations zu pissen. Jeder, der sagt, das ist ein Tribut an die Widerständigkeit der Irokesen, eine Erinnerung, oder eine Neuinterpretation, ist ein reaktionäres unwokes Arschloch! König Christian IV von Dänemark und Norwegen trug Dreadlocks, also genauer gesagt eine einzelne, die ein kleines rotes Schleifchen bekam und bei Hofe so fancy war, dass viele ihm das nachgemacht haben. Das war vor der Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung. Er nahm die Unterdrückung der Schwarzen vorweg! So, wie Fridays For Future ihr ein Denkmal setzt!

Diese woke Logik beschreibt nicht Kultur, sie beschreibt das Urheberrecht. Kultur ist Urheberrecht. Der Grundfehler aller „aufgeklärten“ ist: Sie denken, Kulturen tauschen sich aus und entwickeln sich aneinander. Das ist falsch. Es gibt zum Beispiel die eine Kultur des „woken“, des „Brotes“ oder des „Antiimperialen Kampfes“. Dafür braucht es freiwillige (Helden), die die Kultur für sich beanspruchen, um sie vor Aneignung zu verteidigen. Durch Urheberrecht. Am besten sieht frau das an Musik: Von einer CD oder einem Download kommen 4 %beim Künstler. Das klingt erst einmal wenig. Der Rest geht an „Manager“, „Produzenten“ und „Distribution“. Alles Redundanzen, die man allerspätestens seit dem Internet nicht mehr braucht, sagen die Unwoken. Und weiter: Der Song „Pisse“ von Schnipo-Schranke würde zum Beispiel statt 1,29 € fünf Cent kosten. Wie Ticketautomaten und ein bürokratischer Wasserkopf beim öffentlichen Nahverkehr rechtfertigen die „Professionellen“ sich nur selbst und machen das Produkt teurer. Sie sind wie eine Miliz die sich selbst finanzierende Repression. Die „Musikindrustrie“(das Wort alleine, was wäre mehr Antikunst!) beauftragen Anwaltskanzleien und Menschen abzumahnen, die so dreist waren, sich zu nehmen, was zu nahezu Null Grenzkosten im Internet verfügbar ist. Sie hindert Menschen daran, Musik zu hören, sie weiter zu entwickeln, sie verhindert Kultur? Wer das sagt, hat Wokeness nicht verstanden. Wir zahlen Steuern, nicht wahr? Ebenso ist eine Steuer auf Kultur nötig. Gut, 96 % ist höher als der Spritzensteuersatz, aber er ist nötig. Ein Gedicht zu schreiben ist schwerer, als eine Brücke zu bauen. Und es hält länger, siehe Minna von Barnhelm! Die Feinde der Wokeness sagen, wir wären gegen die Wirtschaft. Doch hier laufen Anwälte, Manager und woke Hand in Hand dem Sonnenuntergang der Kultur entgegen. Wir verteidigen geistiges Eigentum gegen die, weißen Heteromänner, die es sonst, wie immer, stehlen würden. Ich finde sogar, man sollte Managern und der Musikindustrie mehr spenden, wenn sie bekennen, woke zu sein.

Wer „kulturelle Aneignung“ noch echt scheiße findet, sind Nazis. Doch das sind nur woke, die noch nicht erleuchtet sind. Die Erklärung von Fridays for Future liest sich wie die gespiegelte Argumentation der „Identitären“. Man muss nur Schwarze durch Weiße ersetzen. Beide gehen richtigerweise davon aus, dass Kultur essenziell ist und geklaut werden kann wie eine Entenpresse1. Beide haben eine gesunde Paranoia. Die einen vor Ausländern (falsch), die anderen vor Inländern (richtig). Der Essentialismus der Nazis ist der Gleiche, den Putin und andere imperialistische Säcke benutzen, um zu sagen, ich darf hier einreiten, das war mal unseres. Auf dem großartigen Reddit „Map Porn“ gibt es eine Karte, auf der in Europa alle traditionellen Machtansprüche übereinandergelegt sind. Dagegen ist der Stickteppich der weißen Panflötenspieler in der Fußgängerzone noch nüchtern. Aber wenn wir aus den Machansprüchen Kulturansprüche machen, sind wir im Himmel der Wokeness.

„Es gibt die „Kultur“ nicht.“, sagen die Unwoken. „Es gibt nur Kulturen.“ Sie sagen, es gäbe keinen Besitzanspruch. Das Urheberrecht gäbe es erst seit dem 20. Jahrhundert, genauer, als Japan den Westen überflügelte und der sich im Wirtschaftskrieg defensiv verteidigte. Urheberrecht sei das Gegenteil von Wissen, und in der Folge von Wohlstand und, ja, das sagen sie wirklich, Frieden. Die Woken adoptierten hier absurderweise eine neoliberale Denkweise: Ich kaufe, also bin ich. Sie machten sich mit Rechten gemein. Vor allem aber verteidigten sie die, die nicht zu Wort kommen. Auf Twitter beschwerten sich eben genau Schwarze, sorry, POCs, darüber, dass man sie anscheinend für so unfähig hielt, sich nicht verteidigen zu können. Das ist absolut verdreht. Ich muss darauf gar nicht antworten, weil die Unwoken nicht wissen, wie es ist. Wie es sich anfühlt. Beschuldigt zu werden. Manchmal, besonders wenn sie von anderen kommen, sind Argumente eine Form der Unterdrückung. Was immer frei bleiben wird, ist das Gefühl. Und das fühlt sich hier gut an.

Der Spoiler Alert ist die unnützeste Form des Trigger Warnings, trotzdem : Im Film „Dogville“ von Lars von Trier zieht eine Frau in ein Dorf, um allen zu helfen und wird dann versklavt. Ihr Mafiavater rettet sie und brennt das Dorf nieder. Sie sagt: „Bitte verschone die Leute, die sind eigentlich gut. Sie können nichts dafür, wie sie sind!“ Der Vater antwortet: „Das ist das Arroganteste, was ich jemals gehört habe! Du stellst dich jetzt noch über sie!“ Das werfen und die Unwoken vor: Wir wären die edlen Retter, wo niemand gerettet werden muss. Doch sie haben noch nie etwas von „white guilt“ gehört. Das ist die Schuld unseres als weiße, cis-Personen ererbten Privilegs. Selbst ein BiPoC-Attentäter hat weniger Schuld als eine weiße Cis-Frau, die ein Kinderhospiz betreibt. Die ererbte UNgerechtigkeit müssen wir ausgleichen, indem wir für Unterdrückte kämpfen. „Was die Retter von Fridays for Future dabei nicht sehen, ist, dass sie sich über andere stellen.“, sagen die Unwoken. Aber das bedeutet doch „Woke“: erwacht. Es ist unsere missionarische Pflicht, die zu erwecken, die noch schlafen. Es ist kein Zufall, dass das bei einer Umweltbewegung passiert. Die muss sich über andere, namentlich alte weiße Männer stellen, damit alle überleben. Die Umweltbewegung muss nicht demokratisch sein. Wokeness auch nicht. Sich über andere zu stellen, zu sagen was, und was ihre Kultur ist und was nicht und, verdammt noch mal, was für Frisuren sie tragen dürfen, ist nicht nur richtig, es ist auch unsere Pflicht.

Wokeness ist eine Epidemie. Jeder hat irgendetwas aus einer anderen Kultur, benutzt ein Wort, dass gerade nicht woke ist, ist irgendwie privilegiert. Die meisten von uns sehen jeden Morgen so aus, als hätte ich mir über Nacht eine Kultur angeeignet. Also, liebe Aktivistis: zieht sie aus den Betten, schneidet ihnen die Haare ab, verteidigt alle Kulturen der Welt (die nicht eure sind)!
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