Alle Gedichte, die in keine andere Kategorie passen

Dreharbeiten

Beitragvon moon » So 31 Jan, 2010 22:07


Regieanweisung:
Take one, davon,
auf diesem Drehbuch kann man bauen.
Wer baut?
Der Haut Erfüllung schenken.
Braungebrannt, hirnverbrannt!
Noch nicht grün genug
hinter den Ohren,
wohlbehütet eingetütet.
Wahrheit oder Pflicht?
Ein Zungenkuss wie Zuck-Erguss.
Traum und Zeitzeugen
von weißen Witwen,
in vollen Zügen ziehendes
Zugvögeln.
[size=85:2xjb9d7p]Vince: Hey Howard, what will your last words be?
Howard: I'll probably just do some poetry. What will yours be?
Vince: I'll probably just swear my tits off.
(Noel Fielding, Julian Barrat)[/size]
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Re: Dreharbeiten

Beitragvon Friederich » Fr 05 Feb, 2010 23:28


Hallo Moon,

ich sehe in deinem Text inhaltlich viele interessante Facetten und formal zahlreiche Stärken, die Potential zeigen. Als ganzes würde ich aber sagen, dass mich der Text noch nicht überzeugt. Das liegt vor allem an einem: die eingesetzten sprachlichen Mittel folgen keiner klaren Linie und geben dem Gedicht damit keine identifizierbare "Stimme". Damit kommt weder eine überzeugende äußere Form zustande, aus der sich dann eine Aussage bildet, noch lebt das Gedicht davon, dass es etwas beschreibt oder deutet, weil dafür das Spiel mit sprachlichen Mitteln wieder zu sehr im Vordergrund steht. Kurz: es ist weder konkret noch abstrakt. Solche ein Zwischenweg muss keineswegs schlecht sein, doch so ganz kann es mich hier nicht überzeugen. Deshalb will ich jetzt zeigen, was in meinen Augen verbessert werden könnte und was mir dennoch gut gefällt bzw. ein guter Anfang ist.

Regieanweisung:
Take one, davon,
auf diesem Drehbuch kann man bauen.
Wer baut?


Der Einstieg ist gelungen. „Regieanweisung“ weckt Interesse. Danach ein Anflug Anglizismus, Kauderwelsch, Blaupause für Phrasen, nichtssagen? Gefällt mir bis hier gut. Danach eine Anleihe an Werbesprüche, auch gelungen, weil hier eine Oberflächlichkeit zum Tragen kommt und formal noch eine einheitliche Linie besteht. Die darauf folgende Frage ist aber der erste Bruch. Ich denke, dass du dadurch so etwas wie ein fragendes Ich schaffen willst, aber es reißt den Text auseinander und nimmt die vorher geschaffene Linie.

Der Haut Erfüllung schenken.


Super poetisch, würde mir in anderem Kontext sehr gut gefallen und zeigt mir, wie poetisch du schreiben kannst. Nur ist diese Sprache in meinen Augen hier nicht passend, weil das, was es ausdrücken soll in meiner Lesart nach einem anderen Register verlangt. Vor allem, wenn man die nachfolgende Zeile liest. Klar, es ist ein Kontrast, aber selbst, wenn der Bertachter hier gespalten rüberkommen soll, will es mich formal nicht überzeugen. Ich versuche nur, zu erklären, was mir an dem Gedicht trotz einiger sehr gelungener Stellen noch nicht so gefallen will.

Dann verwendest du, passend und kohärent, wieder feststehende Wendungen und Phrasen. Die Reime danach gefallen auch, wenn man nur die bewusst oberflächliche Sprache des Gedichts nimmt. Zusammen mit Zeile fünf und dem Ende will aber kein harmonisches Ganzes entstehen.

Das Ende finde ich super gelungen, vor allem die passende Alliteration, die einen Bogen zwischen dem „Dreh“, dem mechanischen Vorgehen, und der Sicht des Sprechers schlägt. In meinen Augen ein insgesamt durchaus lesenswerter Text, der aber unter seinem Eklektizismus leidet. Ein richtig starkes Gedicht hätte er werden können, wenn du die verschiedenen Sprachebenen mit einem deutlicher erkennbaren Konzept getrennt hättest, damit jede für sich wirken kann.

Was hälst du hiervon:

Regieanweisung:
Take one, davon,
auf diesem Drehbuch kann man bauen.
Braungebrannt, hirnverbrannt!
Noch nicht grün genug
hinter den Ohren,
wohlbehütet eingetütet.
Wahrheit oder Pflicht?
Ein Zungenkuss wie Zuck-Erguss:
Der Haut Erfüllung schenken.

Traum und Zeitzeugen
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Viele Grüße,

Friederich
L'avenir, on ne l'attend pas comme on attend le train. L'avenir, on le fait. (Georges Bernano)

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Re: Dreharbeiten

Beitragvon moon » Sa 06 Feb, 2010 12:49


Lieber Friederich,

ich danke dir für deinen ausführlichen Kommentar. Es freut mich, dass dir der Text stellenweise zusagt. Was mich allerdings jetzt noch interessieren würde, ist deine Lesart, die du leider an keiner Stelle beschrieben hast. So stehen deine Kritikpunkte hinsichtlich "innerer Stimme", Aussage/Deutung und dem "Bruch" in Zeile vier etwas auf verlorenem Posten. Denn ohne deine Interpretation respektive dein Textverständnis kann ich dir nicht sagen, ob du das "Potential", das du zu erkennen glaubst, als Leser auch völlig ausgeschöpft hast.

Das Spiel mit den sprachlichen Mitteln ist in diesem Fall natürlich insofern bewusst gewählt, da ich das Thema sowohl auf eine leicht humoristische, als auch versteckte Art und Weise verarbeiten wollte.

Deinen Vorschlag bezüglich der Abtrennung der letzten vier Zeilen halte ich für eine gute Idee. So kann das Ende vielleicht wirklich noch intensiver wirken. Doch auch hier - vor allem in punkto Streichen der Frage "Wer baut?" und der Umstellung des "Erfüllungssatzes" - ist deine Lesart von Nöten, denn in der ursprünglichen Fassung nehmen genau diese Teile eine wichtige Stellung ein. Erst wenn ich weiß, was du unter den Zeilen verstehst, kann ich deine Kritik nachvollziehen. Es könnte ja sein, dass du die intendierte Aussage bzw. das Thema gar nicht erfasst hast, ohne damit deine Fähigkeiten der Deutung in Frage zu stellen.

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Re: Dreharbeiten

Beitragvon Friederich » Sa 06 Feb, 2010 12:59


Hallo moon,

ich habe mich bezüglich der Interpretation bewusst zurückgehalten, um mich auf die Form zu konzentrieren, aber da du natürlich mit dem Einwand recht hast, versuche ich mal, es nachzuholen.

Ich lese in dem Text so etwas wie eine Persiflage auf Dreharbeiten für kitschige Wärme-Sonne-Träume Produktionen. Aus diesem Grund steht für mich die Beschreibung der Vorgänge (Regieanweisung, schlechte Liebesszenen) im Vordergrund. Die gewählte Sprache ist dabei die der Beschriebenen (auf diesem Drehbuch kann man bauen, take one, davon) und die andere Sprachkultur, die durchdringt, die des Beobachters. Für mich ist da die rhetorische Frage die des Beobachters und der Schluss dessen Sichtweise.

Auch wenn du recht hast, dass die Interpretation für die formale Kritik wichtig ist (und das ist ja jetzt nur meine Lesart, sie kann dem, was du schreiben wolltest, ja entgegenlaufen), denke ich, dass mein Eindruck, dass hier keine rechte Linie aufkommen will, auch ohne sie wichtig ist. Nicht, weil du das Gedicht ändern sollst. Nur, um zu wissen, was evtl. ein Schwachpunkt des Gedichts sein könnte aus Lesersicht hinsichtlich des weiteren Schreibens.

VIele Grüße,

Friederich
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Re: Dreharbeiten

Beitragvon moon » So 07 Feb, 2010 14:50


ich habe mich bezüglich der Interpretation bewusst zurückgehalten, um mich auf die Form zu konzentrieren


Hi Friederich,

dafür, dass du dich auf die Form konzentrieren wolltest, ist der folgende Satz von dir recht inhaltsbezogen:

noch lebt das Gedicht davon, dass es etwas beschreibt oder deutet


Nachdem ich jetzt deine Interpretation kenne, die durchaus interessant zu lesen war, aber - wie du schon vermutet hast - vom Inhalt des Textes weit entfernt ist, könnte ich dir ja einige Hinweise geben, worum es eigentlich geht. Vielleicht werden dir anschließend manche Stellen klarer.

Der Text handelt weder von echten Dreharbeiten, noch von persiflierten Filmszenen. Am ehesten vielleicht noch von solchen, die sich vor dem inneren Auge abspielen. Der Titel bezieht sich auf die handwerkliche Tätigkeit, mithilfe von (Roll-Your-Own) Blättchen etwas zu drehen. Regieanweisungen werden lediglich von faulen Mitarbeitern gegeben. "Take one", als der erste Drehversuch des Abends und zugleich die Aufforderung sich einer Unterlage zu bedienen: dem "Dreh"buch. "Wer baut?" als der letzte Versuch des Auserwählten doch noch vor seiner "Pflicht" zu entkommen. Der folgende Anschluss "Der Haut..." ("Wer baut, der haut" ist eine "verbreitete", nicht vertraglich festgelegte, aber umso ehrenwertere Aufgabe, die dem Dreher obliegt) "...Erfüllung schenken" bezieht sich auf die Hinzugabe des Blättcheninhalts. So ist nicht das Organ "Haut" braungebrannt, sondern das, was ohne die grüne Farbe hirnverbrannterweise ohne echte Wirkung dahinglüht.

Genug mit den Hinweisen, vielleicht wird dir jetzt auch die Form klarer. Ich habe nicht den Anspruch erhoben, dass jemand den Inhalt richtig deutet, im Gegenteil, ich wollte den Leser auf falsche Fährten locken. Und auch wenn ich so manchen formalen Kritikpunkt deinerseits nachvollziehen kann, würde ich dir raten mit o.g. Aussagen über "Aussagen" vorsichtig zu sein.

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