Hey annabell,
ich freue mich, dass du Lust hast, etwas mit dir an deinem Gedicht zu arbeiten. Das tu ich nämlich gerne.
früh gealtert weil wir immer kinder blieben was wir sind
wir wissen es nicht
straßen trennen das dorf von der stadt
und die stadt ist überall fragen nach dem weg
von hier nach dort oder zurück: wird ernst bezeugt
fühlen wir uns oft unbewohnt
Die ersten zwei Zeilen sind mir zu schwach für den Einstieg.
Dieses Motiv der „Kind Geblieben Seins“ ist mir zu abgegriffen.
Zumal du nur darüber redest. Das ist ein wenig langweilig, wenn der Atuor dem Leser sagt, was das wir ist.
Die nächste Zeile ist interessanter: „straßen trennen das dorf von der stadt“ Hier redest du im Bild.
Aber du entwickelst es nicht. Du assoziierst relativ „bereitliegende Dinge“. Wer denkt bei Straßen nicht an Weg? Und bei Stadt nicht an „(un)bewohnt“.
„von hier nach dort oder zurück“ – ist unspezifisch. Was ist hier, was ist dort, was ist zurück? Zumal es sowieso nur die Frage nach dem Weg ausmalt, die eigentlich für sich stehen könnte.
Vielleicht könntest du weiter arbeiten an, „straßen trennen das dorf von der stadt“, am „ernsthaft bezeugen“. Was ist das für eine Trennung, worin besteht sie? Und vor allem: Verbinden Straßen nicht? Das macht das Bild interessant. Es ist nicht bereitliegend. Es erzeugt Spannung. Du könntest diese aufnehmen.
in dieser welt brechen lösen splittern die hände
halten aber nichts
spiegeln versteinerten lachen gleich
blinzeln wie eingefroren vom boden auf
die Geister
„in dieser welt“ streichen – wo sonst?
„versteinertes lachen“ ist ein zu gängiger Ausdruck. Versuche ein eigenes Wort dafür zu finden. Zumal dann auch noch „eingefroren“ kommt. Das liegt assoziativ sehr nahe.
Was ist die Essenz dieses Bildes?
Steckt da nur drin, dass jede Freude verblasst ist und das Lachen schwer fällt? Mehr sehe ich da nicht wirklich – kann ja aber natürlich auch an mir liegen – und das wäre mir etwas wenig.
Hier würde ich weiter arbeiten an den splitternden Händen, die mir gut gefallen.
Was haben sie mit der Trennung der Straßen zu tun? Wonach greifen sie?
schlafen nicht mehr weil wir angst vor dem erwachen haben
werden brutal werden lassen alles sein wie es ist und
machen endlos große bögen voll folien wurst und schnaps um
zwischen tot und tot nicht los zu müssen
keine wahl
wir wählen
Die erste Zeile ist wieder… zu naheliegend. Und aber auch eher prosaisch. Man würde sie in einer Kurzgeschichte lesen können.
Die zweite Zeile ist „inhaltsleer“: Die Worte sind eigentlich nur Hüllen, weil sie sehr allgemein sind. Das einzige spezifische Wort ist „brutal“.
Dagegen gerade sind Zeile 3 und 4 so gut. Sie sind konkret, plastisch.
Ich schätze du versuchst eine Leere und Einsamkeit im Leben der Menschen zu beschreiben. Alles wird egal und austauschbar. Festgefahren. Seiner Möglichkeiten beraubt. Die Frage dabei ist: Worin zeigt sich das?
Liebe Grüße und einen schönen Abend,
Antibegone.
PS: Natürlich musst du das Gedicht nicht right away bearbeiten. Lyrik braucht Zeit. Ganz viel Zeit und Lust. Wenn du das einfach mal in 10 Minuten machen wolltest, würde ich dich fragen, ob du es mit Lyrik eigentlich ernst meinst.
Drehrassel: "Als Lyriker sollte man eine ahnende Checkung haben, von dem, was man da macht."