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Strassenkämpfermann (street fighting man)

Beitragvon Ruelfig » Fr 02 Okt, 2009 20:00


Kurz vor Einbruch der Dämmerung ist es uns gelungen, die Absperrungen um den Burgplatz zu durchbrechen. Die Polizei hat wohl nicht mit unserer Entschlossenheit gerechnet, aber auch, dass wir so viele sind, hätte keiner gedacht. Wir sind gut ausgerüstet und hatten anfangs nur geringe Verluste, als wir unsere Feinde über den Platz trieben. Dann haben sich die feigen Schweine mit den Bullen zusammengetan und wir haben uns in Kleingruppen getrennt. Seitdem wogen Kämpfe hin und her, im Blaulicht der Einsatzfahrzeuge und dem Schein brennender Barrikaden. Ein fetter Geruch von schwelendem Plastik, gemischt mit Tränengas, macht die Luft schwer zu atmen. Von allen Seiten tönen Martinshörner, Sprechchöre und Schmerzensschreie.
Ich bin der Gruppe 5a zugeteilt, wir sollen die Niederstrasse von der Oberstrasse bis zum Flachsmarkt sichern. Die Organisation ist ausgezeichnet, wir sind diszipliniert, die Moral ist gut. Der Lärm der über uns kreisenden Hubschrauber treibt den Adrenalinspiegel hoch.
Wir sind gerade dabei, einen Kleinwagen in die Strassenmitte zu schieben, zu den Mülltonnen und den ausgegrabenen Strassenschildern, als einer von denen auf uns zuwankt. Als er uns erkennt, ist es zu spät. Wir sind schneller, treiben ihn in die Enge, schneiden ihm den Fluchtweg ab. Mit einer Haustür im Rücken beginnt er, sich zu wehren, geht langsam in die Knie unter unseren Schlägen und Tritten, krümmt sich auf dem Boden, versucht, sein Gesicht zu schützen mit hochgezogenen Armen. Wir wissen, was die mit uns machen, was die unseren schon angetan haben, da gibt es kein Halten. Der Typ heult und schreit, Rotze und Blut laufen ihm über die Fresse, die Augen zugeschwollen, die Klamotten zerrissen und plötzlich sackt er zusammen, keine Bewegung mehr. Wie auf ein Zeichen werden wir still. Vorne sagt einer: Der hat genug. Lasst ihn liegen, soll sich die Müllabfuhr um ihn kümmern.
Wir drehen uns um und laufen zum Flachsmarkt, dort scheint eine wütende Schlägerei im Gang, man sieht das Flackern von Feuer, hört Grölen und Flüche. Wir werden die Stellung halten und anständig bleiben. Wir sind nicht wie die, wir wissen, wofür wir einstehen.
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Garfield (Mi 11 Mai, 2011 15:23), rivus (Mi 07 Nov, 2012 12:48)
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Re: Strassenkämpfermann

Beitragvon Garfield » Sa 03 Okt, 2009 16:27


Moin Rülfig

Nettes Teil hast du da geschrieben. Sprachlich gibts nichts zu mäkeln und auch der Inhalt weiß zu gefallen.
Gut gelingt dir das verschwimmen der Grenzen - man erfährt nicht, wer da gegen wen kämpft. Und ich denke das ist die Stärke des Textes. So steht im Mittelpunkt der Mann der zusammengeschlagen, vllt sogar getötet wird.
Du zeigst Gewalt als das was sie ist, brutal und unfair, ohne ideologische Ausflüchte zu suchen. Ebenso wird die Spirale der Gewalt deutlich, da aus dem Text hervorgeht, das auch Leute dieser Gruppe bereits Opfer von Anschlägen wurden.

Der einzige Nachteil daran ist naturbedingt und vllt nicht zu vermeiden: Man erfährt nichts über Hinter- und Beweggründe.
Auffällig aber ist die Gruppendynamik, man versteht sich nicht als Individuum sondern eine große Organisation:
[...] als wir unsere Feinde über den Platz trieben [...] Wir wissen, was die mit uns machen, was die unseren schon angetan haben


Ansonsten empfinde ich noch den Titel "Straßenkämpfermann" als verunglückt, er klingt etwas lächerlich. Das ist evtll Absicht, passt aber m.M.n. nicht zur Sprache des Textes.

Gruß Garf
Kurz, er bewies eine Geduld, vor der die hölzern-gleichmütige Geduld des Deutschen, die ja auf dessen langsamer, träger Blutzirkulation beruht, einfach gar nichts ist.
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Re: Strassenkämpfermann

Beitragvon Ruelfig » Di 06 Okt, 2009 18:57


Hallo Garfield,
klar, wer hier gegen wen, wenn ich das erwähnte, wäre ich Partei. Und dann müsste ich rechtfertigen: dem darf man Fresse wegen der ist Arsch und hängt ihn hoch, den Feind des Volkes.
Der Titel war mir hier ein echtes Problem, so habe ich auf einen alten Rolling Stones-Titel zurückgegriffen: Street fighting man. Was würdest du denn von einem eher neutralen Titel halten wie: Straßenkampf?
Danke für die Antwort und die Nominierung,
LG, R
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Re: Strassenkämpfermann

Beitragvon Garfield » So 18 Okt, 2009 17:10


Moin Ruelfig

Hm, das Lied kenne ich nicht, aber wenn du es als Titel benutzen willst würde ich es in English belassen, weil zum einen, für diejenigen die das Lied kennen, der Bezug klarer wird und zum zweiten es nicht so lächerlich klingt.

'Straßenkampf' fände ich besser als den jetzigen Titet, aber auch etwas langweilig. Leider fällt mir aber auch nichts fesselndes ein.

Gruß Garf
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Re: Strassenkämpfermann

Beitragvon seraphimo » So 29 Nov, 2009 09:52


moin ruelfig,
mir hat dein beitrag sehr gut gefallen. was ich sehr mochte war, dass du bei deiner intensiven erzaehlung auch gerueche geschildert hast ("schwelendes plastik"). das erweitert die wahrnehmung noch um eine dimension. passiert irgendwie sehr selten. ich muss mich beim schreiben auch stets daran erinnern, dass man mehr als nur zwei sinne hat.
die frontenklaerung "polizei" : "nicht polizei" finde ich beinahe ueberfluessig. waere die aussage nicht noch eindringlicher, wenn man auch diese zuordnung fallen lassen wuerde?
gruesse, sera...
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Re: Strassenkämpfermann (street fighting man)

Beitragvon Ruelfig » So 29 Nov, 2009 15:41


Hallo seraphimo,
danke für deine Antwort. Die Gerüche kamen mit der Erinnerung an erlebte ähnliche Szenen, danke für den Hinweis, war mir gar nicht so bewusst.
Die Polizei könnte ich rausnehmen, müsste sie dann aber an anderer Stelle (oder anders) wieder einbauen. Ohne die "Bullen" wäre die Szenerie nicht komplett und ohne den Vorwurf des Verrats wäre die Motivation nicht gegeben, derart heftig zu kämpfen. Ich denke drüber nach.
LG,
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Re: Strassenkämpfermann (street fighting man)

Beitragvon Neruda » Mo 01 Mär, 2010 22:14


Als Prosa des Monats Oktober hierher verschoben.
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