Geschichten rund um Liebe, Familie oder Freundschaft

Gedanken an Silvia

Beitragvon Walter » So 02 Jan, 2011 15:17


Einmal ist es geschehen. Aber danach hatte er gewusst, dass es nie mehr wieder passieren durfte. Das ist schon Jahre her. Seine Frau war damals mit ihrer Schwester für drei Tage nach Italien verreist. Er würde gern sagen, dass er sich aufgrund ihrer Abwesenheit einsam gefühlt hatte, dass er sie so sehr vermisste, einfach nicht mehr ein noch aus wusste und deshalb dazu getrieben wurde. Aber eigentlich war es nicht so. Sie waren damals schon mehr als zehn Jahre verheiratet gewesen und er hatte einfach gedacht, dass er es wieder einmal mit einer anderen Frau brauchen würde. Und deshalb ist er dann zu einer Prostituierten gegangen. Freilich war der Sex mit ihr nicht gut. Mitten drin musste er plötzlich an seine Frau denken. Daraufhin wurde er nervös, überhastete alles und war ab einem gewissen Zeitpunkt nur mehr darauf aus, es hinter sich bringen. Danach hatte er rasch seine Kleider angezogen und war schnell gegangen. Er wollte nur mehr weg.
Zuhause ist er dann sofort unter die Dusche gesprungen. Doch auch viel Schrubben mit Wasser und Seife konnte ihn nicht von dem Gefühl befreien, noch schmutzig zu sein. Es war aber nur eine Prostituierte gewesen, hatte er sich damals gedacht und trotzdem waren da diese Gewissensbisse! Schließlich hatte er sich geschworen, dass dies das erste und einzige Mal bleiben würde. Und so war es dann auch gewesen.
Das Begehren war damit freilich nicht verschwunden. Das blieb sein steter Begleiter. Doch er hatte es irgendwie unter Kontrolle gebracht, ließ es nur mehr auf kleiner Flamme kochen. Viele Jahre lang. Doch dann war Silvia in sein Leben getreten - klassisch, als neue Arbeitskollegin. Von Anfang an war es gut zwischen ihnen gelaufen, hatten sie sich gut miteinander verstanden. Vordergründig waren sie sehr gute Arbeitskollegen. Doch ihm war sofort klar gewesen, dass da mehr zwischen ihnen war, mehr als nur „Kollegenschaft“. Zumindest von seiner Seite aus war das klar und er war sich bald sicher, dass auch Silvia das gleiche fühlte. Sie lachten viel zusammen und er hatte das Gefühl, sich über alles mit ihr unterhalten zu können. Sie gefiel ihm gut, war etwas jünger als seine Frau und auch etwas hübscher, wie er fand.
Sie kamen aus der gleichen Gegend, deshalb nahm er sie bald in seinem Wagen zur Arbeit mit. So fuhren sie oft gemeinsam und einmal ertappte er sich dabei, dass ihm der Gedanke gefiel, sie in seinem Auto neben sich sitzen zu haben. Im selben Moment überkam ihn jedoch ein Schrecken; es war das gleiche Gefühl, wie er es schon Jahre zuvor in der Dusche nach dem Besuch der Prostituierten gehabt hatte. Und er erinnerte sich an seinen Schwur von damals und erneuerte ihn für sich. Am nächsten Tag nahm er ein Bild, das ihn und seine Frau eng umschlungen zeigte, und placierte es auf seinem Schreibtisch im Büro. Dann betrachtete er es lange. Schließlich nickte er: Es ist gut, dass es jetzt hier steht, dachte er, während er das Bild zurechtrückte.
An seinem Verhalten gegenüber Silva änderte sich freilich nichts. Er tat ja auch nichts Ungehöriges, denn auch Silva war vergeben, ebenso wie er, schon viele Jahre verheiratet.

In der Früh brachte er Silvia immer den Kaffee direkt zu ihrem Schreibtisch. Er wusste wie sie ihn mochte. Zwei bis drei Mal die Woche ging er mit ihr in der Mittagspause essen, meist alleine, ohne die anderen Kollegen. Das mochte er besonders. Oft fragte er sich, was jemand, der Silvia und ihn so zusammen beim Mittagessen sah, über sie beide denken würde? Wahrscheinlich würde er sie für ein Liebespaar halten. Dieser Gedanke schmeichelte ihm und machte ihm ganz warm ums Herz.
Seiner Frau erzählte er im Übrigen davon. Zumindest das mit dem Kaffee am Morgen hatte er bestimmt schon das eine oder andere Mal in einem Gespräch mit ihr gestreift. Bei den Mittagpausen ging er zwar nicht besonders auf Silvia ein. Auf der anderen Seite konnte es aber auch ernstlich kein Problem für seine Frau sein, dass er mit Arbeitkollegen, wie auch mit Arbeitskolleginnen, zu Mittag aß. Im Gegenteil.
Was diese Gefühle für Silvia beim Mittagessen oder beim Autofahren betraf, das hatte er freilich seiner Frau nicht erzählt. Aber das war halt eine Schwärmerei seinerseits. Im Grunde waren das ja auch nur Gedanken, die er sich machte. Und Gedanken sind ja bekanntlich frei. Außerdem: Solange nichts zwischen ihnen beiden passierte und er sich an seinen Schwur hielt konnte niemand ernstlich etwas dagegen einzuwenden haben, oder? Und dafür, dass das so blieb, würde er schon sorgen.
Walter
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