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Ein mittelmäßiger Lehrer

Beitragvon schreibs » Sa 18 Feb, 2023 16:34


Nachdem eine Schülerin ihn heute zum wiederholten male gefragte hatte, ob die Zahl drei die Lösung einer Aufgabe sei, vergegenwärtige sich Herr Schlecht, dass er geduldig sein sollte. Seine Ruhe bewahrend gab er dem Kinde erneut zu verstehen, dass eine andere Zahl als drei die richtige Lösung des Problems sei.
Herr Schlecht übte sich gerne in der vornehmen Kunst der Zurückhaltung, doch als die Schülerin nun wenige Minuten später ein drittes mal ihre Frage wiederholte, und kicherte, wurde Herr Schlecht zornig.

Vor vielen Jahren war er Zeuge eines Gewaltverbrechens geworden. Herr Schlecht hatte die Eigenschaft in solchen Momenten auf eine kühne Geistesgegenwart hoffen zu dürfen, ganz anders als im Rahmen des ihm gewohnten Alltagsgeschehens. Herr Schlecht fragte den Täter damals warum er gewalttätig gewesen sei. Dieser antwortete "weißt du es ist wie milchschaum kennst du milchschaum? "
Herr Schlecht hatte diesem Vergleich nicht viel abgewinnen können. Doch nun da die Schülerin ihn nachdenklich darauf ansprach, ob vielleicht die Zahl 3 die Lösung ihrer Matheaufgabe sei, da fiel es Herrn Schlecht wie Schuppen von den Augen.
Er schäumte vor Wut und hoffte inständig, dass man ihm diese Grundemotion nicht anmerken würde.
Als er den Unterrichtsraum verließ, fühlte er sich an diesem Tag nicht wie aus Fleisch und Blut gemacht, sondern so, als ob er aus Milch gefertigt sei.

Erschöpft trottete er nachhause. Es ist ein Bedürfnis der Kinder Freude zu empfinden, urteilte er nachdenklich. Deshalb sollte er den Scherzen der Schülerschaft verständnisvoll begegnen. Als Lehrkörper war er für die Aktivierung der SchülerInnen für das Unterrichtsgeschen zuständig. Dazu gehörte auch die Betreuung von Motivation und Emotion im Hinblick auf den Erfolg und die Selbstwirksamkeit der Schüler. Herr Schlecht vergegenwärtigte sich ein didaktisches Hexagon, welches ihm zahlreiche Relationen zwischen verschiedenen Kriterien für einen gelingenden Mathematikunterricht veranschaulichte.Während er über diagnostische- und soziale Prozesse, Bewertungen und Fördermaßnahmen nachdachte, kam er zu dem Urteil, dass die Schülerin, welche ihn verärgert hatte, einer Fördermaßnahme bedürfe. In der kommenden Unterrichtseinheit würde er sie einer Akzeleration des Unterrichtsgeschehens unterziehen. Herr Schlecht war zufrieden, da er seinen didaktischen Verpflichtungen nachgekommen war.

Nun könnte er sich Nahrungsmittel zulegen. Im Supermarkt erwarb etwas Biofleisch und ein Radler. Schmunzelnd dachte Herr Schlecht darüber nach, welche Funtkionsvorschrift wohl einen Rotationskörper in Form der Bierflasche impliziere.
Während er eine Antwort auf seine Frage fand, reflektierte er ausführlich seine Einsichten in algebraische, geometrische sowie analytische Zusammenhänge und schloss seine Überlegungen mit der Einsicht ab, dass er es mit dieser Aufgabe mit einem Beispiel für die Schönheit der Mathematik zutun bekommen hatte.

Nun wollte er aber endgültig Feierabend machen. Als er seinen Einkauf bezahlte, warf er an der Kasse einige Artikel mit einer betonten Unachtsamkeit vom Fließband in seinen Einkaufswagen.
Herr Schlecht achtete im Rahmen des Einkaufs darauf, empfindsame Lebensmittel behutsam zu behandeln, doch nachdem er einen Beutel Milch abgelegt hatte, schleuderte er das Fleisch, welches dadurch nicht beschädigt werden konnte, abfällig hinterher. Auf der Straße räumte er seine Einkäufe aus dem Einkaufswagen in seinen Einkaufsbeutel. Als er das Radler in seinen Beutel befördern wollte, kam es allerdings dazu, dass der Deckel der Flasche derart mit dem Gitter des Einkaufswagens in Berührung kam, so dass der Flaschendeckel sich ein wenig löste. Die Flasche zischte und eschäumte. Herr Schlecht stellte sie zügig auf dem Boden ab da er sein übriges Zeug nicht mit Bier beschmutzen wollte. Er wollte die Flasche dort stehen lassen und mit den übrigen Einkäufen den Heimweg antreten. Bevor er losgehen konnte, bemerkte er einen Interessenten an der Bierflasche. Dieser tat so, als wäre er ebenfalls mit seinen Einkäufen beschäftigt. Doch in wollte er die Abwesenheit Herrn Schlech abwarten, um dann die Bierflasche zu entwenden. Diese nonverbale Lüge konnte Herr Schlecht nicht dulden. Er schnappte die Flasche und machte sich auf den Weg.

Nun führte er in der einen Hand eine Bierflasche, in der Anderen einen Einkaufsbeutel. Man würde ihn für einen bösartigen Alkoholiker halten, urteilte Herr Schlecht. Um dieses Problem zu lösen, versuchte er, den Passanten auf der Straße den auf der Flasche befindlichen Deckel zu präsentieren. So sollte jeder Mensch erkennen dass er das Bier nur aus Gründen des Transports und nicht Zweck seines unmittelbaren Konsums in der Hand hielt. Doch diese Maßnahme schien ihm nicht sehr erfolgreich. Die Mitmenschen waren nämlich nicht aufmerksam genug um das Detail Bierdeckel zu erkennen. Lediglich eine alte Dame brachte ihm im Anbetracht des Flaschendeckels ein anerkennendes Nicken entgegen.Herr Schlecht konnte nicht einschätzen, wieviel Verachtung ihm die Menschen auf seinem Nachhauseweg ob des Tragens der Bierflasche entgegenbrachten. Man kann nicht alles können, dachte Herr Schlecht bei sich und ignorierte seinen Unwillen. In Wahrheit wollte er nicht wissen, welche Informationen seine Mitmenschen beschäftigten, geschweige denn wo ihr Wille lag. Zuhause angekommen berichtete Herr Schlecht seiner Partnerin von den Unannehmlichkeiten, die ihm widerfahren waren." Du bist halt ein schlechter Mensch", sagte sie. Herr Schlecht ging entkräftet zu Bett. Hoffentlich werde ich einem stärkenden Schlafgeschehen ausgesetzt sein, dachte Herr Schlecht müde. Und tatsächlich schlief Herr Schlecht in dieser Nacht überaus friedlich.
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