Hallo, graf,
leider komme ich jetzt erst dazu, dir ausführlich zu antworten.
Ich habe extra für dich ein Gedicht online gestellt - ‚Lebensfälle’ - um mich damit auf sein ‚Leben’ zu beziehen.
'Lebensfälle'
Das Leben ist auch nur ein Beugungsfall unter vielen &
Nur Fallstudien erlauben Fallunterscheidungen:
Glücksfälle Unfälle Einzelfälle Sonderfälle Normalfälle
Die Fallgerade ist ein Fall ohne Beugung
Gerade fällt auch die Falltüre zu -
Gerade wie ein Fallbeil.
Der Neigungswinkel geht von der Falltür zur Falttür.
Gefaltete Türen passen in jedes Planquadrat -
Wie die gebeugten Leben.
Es ist ein Beispiel für ein Gedicht, das weder gereimt noch im ‚abgehackten Stil’ geschrieben ist, dennoch mit modernen lyrischen Mitteln.
Es ist gleichzeitig ein Beispiel für ein Gedicht, das missraten ist - aber von der zugrunde liegenden poetischen Idee und der Durchführung her zu der Hoffnung berechtigt, dass der Autor eine Art von ‚lyrischer Grammatik’ im Kopf und Vorstellungen von den dichtungstechnischen Mitteln moderner Lyrik hat.
Will sagen: Man kann auch an der Art, wie ein Gedicht misslingt, erkennen, ob sich Kritik daran lohnt – 'lohnt' im Sinne von: Ist der Autor grundsätzlich überhaupt imstande sie zu verstehen?
Ob er die Kritik dann annimmt, ist eine andere Frage. Das hängt ja nicht nur von Wissensvoraussetzungen, sondern auch von Persönlichkeitsbildern und aktuellen Befindlichkeiten ab.
Du scheinst persönlich sehr nett zu sein, wenn ich von deiner sehr ‚verständigungsbereiten Reaktion’ auf meinen eher 'frontalen' Beitrag ausgehe. Das hätte ich mir anders vorstellen können. Das ändert nichts daran, dass die Vorstellungen von Lyrik, die du in deinem Gedicht erkennen lässt, sich lesen, als wären sie von der Rückseite eines Apothekenkalenders oder vom Poesiealbum deiner Tante Gertrud bestimmt.
Das Gedicht weist keinerlei Spuren lyrischer Sachkenntnis auf. Eine Kreativtechnik ist nicht erkennbar, der Gebrauch sinnvoller dichtungstechnischer Hilfsmittel nur rudimentär – zum Beispiel zur Wortfelderschließung
Vielleicht darf ich dir dafür die gleichen Ratschläge geben, die ich vor einiger Zeit schon einmal Aichi gegeben habe.
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Ich füge dir hier einmal ein:
Anagrammgenerator
http://www.sibiller.de/anagramme/ Reimlexikon
http://www.reimlexikon.net/index.php?An ... suche=agen
Synonymlexikon
http://wortschatz.uni-leipzig.de/ Etymologische + Wortfeldinformationen
http://www.de.wiktionary.org Es geht darum, mit Hilfe dieser Instrumente für sich selbst das semantische Feld zu erschließen, in dem man sich mit einem Gedicht bewegt.
Jemandem wie dir würde ich offen gestanden auch empfehlen, sich einen Basisratgeber wie ‚Aspekte der Lyrik’ oder ähnliches zu beschaffen. Einfach um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, welche lyrischen Ausdrucksmittel es überhaupt gibt und wie man sie einsetzen kann.
Es ist ganz hilfreich, die rhetorischen Figuren zu kennen. Wenn man weiß, dass ein Oxymoron die Zusammenstellung zweier widersprechender Begriffe bedeutet, hat man gleichzeitig eine Bilderzeugungstechnik erlernt. Es gibt viele Möglichkeiten.
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"Sprechen wir es aber aufrichtig aus: ein eigentlicher Lebemann, der frei und praktisch athmet, hat kein ästhetisches Gefühl und keinen Geschmack, ihm genügt Realität im Handeln, Genießen und Betrachten ebenso wie im Dichten..."
Johann Wolfgang von Goethe[/size]